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R.O.M.
Regionalgeschichte des Oberen Mittelrheintals
von Prof. Dr. Dieter Kramer

2. Die Angst vor einem Atomschlag

Förderturm der Mangan-Grube Geyer, Bismarckturm bei Ingelheim, 1. Weltkrieg, 2. Weltkrieg, Bingerbrück, Bingen, Atomwaffen, Ramstein Airbase, Putin3 min read

Die UNESCO-Welterbe-Region Oberes Mittelrheintal, Ort der Bundesgartenschau 2029, ist im 20. Jahrhundert nicht unberührt vom Krieg geblieben. Der Förderturm der Mangan-Grube Geyer bei Waldalgesheim am Rande des Hunsrück (inzwischen ist er abgerissen) kann symbolhaft dafür stehen: Mit seiner Feuerschale in Sichtweite zu einer Feuerschale auf dem Bismarckturm bei Ingelheim sollte der Sieg Deutschlands in dem zur Zeit seines Baues noch laufenden Ersten Weltkrieg gefeiert werden. Es kam nicht dazu.

Im Zweiten Weltkrieg aber war er dann für ganz andere Zwecke wichtig: Für die englischen und amerikanischen Bombenflieger war er Orientierungspunkt bei ihrem Zielanflug auf den zu bombardierenden Verschiebebahnhof Bingen/Bingerbrück. Blindgänger bei Bingen und Rüdesheim sorgen hin und wieder immer noch für Verkehrsbehinderungen, weil sie entschärft werden müssen.

In den 1980er Jahren waren die US-amerikanischen Militäranlagen in Rheinland-Pfalz Ziel von manchen Demonstrationen der Friedensbewegung, die sich gegen den Ausbau der mit Atomwaffen ausgestatteten Stützpunkte wehrte.

Heute sind angeblich nur noch wenige Atombomben in Deutschland in Büchel in der Eifel im westlichen Rheinland-Pfalz gelagert (immerhin doch auch noch einige), und sie warten auf die neuen atombombenfähigen Flugzeuge der Bundeswehr. Der Rhein war damals immer die Linie, an der jeder Angriff aus dem Osten zum Halt gebracht werden sollte.

Heute ist Luftwaffenstützpunkt Ramstein Airbase ist wichtigste US-Militärstandort in Deutschland, ja Westeuropa. Bedeutend sind dort nicht nur US-Militärkrankenhäuser und Militärflugplätze, auch digitale Kriege und Drohnenangriffe werden von hier aus gesteuert.

So wäre Ramstein Airbase in einer punktuellen atomaren Auseinandersetzung zwischen NATO und Russland ein mögliches Ziel für einen begrenzten Atomschlag. Er ist freilich wohl mit Sicherheit heute mit Raketenabwehreinrichtungen ausgestattet (jedes Regierungsflugzeug hat solche Vorkehrungen), und man wird hoffen können, dass atomare Sprengkörper so programmiert sind, dass sie nur am vorgesehenen Zielpunkt zünden, also als Blindgänger weniger gefährlich sind. Wie zielgenau russische oder sonstige taktische Atomwaffen sind, wollen wir lieber nicht ausprobieren.

Mit der Angst vor der atomaren Eskalation wird im aktuellen Ukrainekrieg gespielt, und sie wäre auch für uns erschreckend. Manchmal wollen Großmäuler in Russland gleich ganze Länder atomar auslöschen.

Diese Angst wirkt auch – Kanzler Scholz und Jürgen Habermas raten verantwortungsbewusst zur Vorsicht, damit unser Land nicht als Kriegspartei wahrgenommen wird. Alice Schwarzer, Sahra Wagenknecht und weitere Verfasser eines ersten Offenen Briefes wollen deswegen schon gar keine schweren Waffen an die Ukraine liefern.

Szenarien, in denen man in ausweglosen Situationen größere Ansammlungen von Gegnern mit taktischen Atomwaffen zerstört, werden wohl in allen Armeen durchgespielt. Schon vor vielen Jahrzehnten hatte ich ein Büchlein aus der Schweiz in der Hand, in dem schweizer Militärs über den Umgang mit atomaren Gefechtsfeldwaffen nachdachten. Es ging um solche Munition, wie sie mit den von Konrad Adenauer einst für die Bundeswehr gewünschten Atomkanonen hätte verschossen werden können. Inzwischen sind viele neue Typen von atomarer Munition entwickelt worden, über die ich wenig weiß. Sie sind in ihrer Wirkung meist kaum kleiner als Hiroshima-Bombe. Und manche trösten sich vielleicht damit, dass Hiroshima und Nagasaki auch wieder blühende Städte sind.

Aber selbst solche Munition wird man nicht so schnell anwenden, muss man doch dafür „lohnende“ Ziele mit hoher Konzentration gegnerischen militärischen Potenzials haben, und zudem muss man damit rechnen, dass der Gegner oder seine Verbündeten in einer „symmetrischen Aktion“ gleiches tun.

Und selbst wenn atomare Gefechtsfeldwaffen nicht schon gleich Rauch-und Staubwolken eines „atomaren Winter“ verursachen, so trifft doch die unvermeidliche Strahlenbelastung alle.

Darauf sind vermutlich wenige vorbereitet. Russische Soldaten sind im Ukraine-Krieg angeblich ungeschützt in die seit der Atomkraftwerkshavarie von Tschernobyl atomar verseuchten Gebiete geschickt worden. Ob bei uns mehr als eine ABC-Schutz-Grundausbildung vermittelt wird, weiß ich nicht. Und ob und wieviel ABC-Schutzausrüstung es für die Bundeswehr gibt, weiss ich auch nicht. In den Tunnels, die für die Bundeswehr parallel zum Wispertal von Lorch am Rhein bis Kemel die Taunusberge durchziehen, wird, sagt man, vor allem medizinisches Material gelagert, außerdem gibt es eine Batterieladeanlage für die Batterien von Flugzeugen, Panzern und Lkws (jeder Verbrennungsmotor braucht auch eine Batterie, das weiß man). Man müsste die lokalen Handwerker fragen, die dort immer wieder zu tun haben, ob dort auch ABC-Schutzausrüstung gelagert wird (die wissen auch, dass es in diesen Tunneln keine Atomwaffen gibt).

Gewiss gibt es die Gefahr der Eskalation, aber in der jetzigen Situation scheint sie mir noch kalkulierbar. Sie bringen, wird immer wieder gesagt, auch strategisch keinen Gewinn. Zudem vermute ich, auch bei Militärs ist die Abschreckungswirkung noch sehr hoch. Die wissen ja am besten, was droht. Der belarussische Präsident Lukaschenko bezeichnete im Mai 2022 einen Atomschlag als "inakzeptabel".

Aber: „Wenn wir nicht wollen, dass eine Atommacht die Charta der Vereinten Nationen, das Nicht-Angriffsgebot, permanent verletzt, weil jeder Angst hat, Widerstand zu leisten, dann darf sie jetzt keinen Erfolg damit haben", wurde gesagt. Die Ukraine muss deshalb soweit gewinnen, dass Verhandlungen eingeleitet werden können - die mögen dann auch so lange dauern wie nötig, wenn sie mit Waffenstillstand verbunden sind. Das System Putin „läßt Konflikte eskalieren, wenn die Gegenseite stillhält. Es hält sich zurück, sobald die Gegenseite Kontra gibt.“ „Letztendlich scheint Russland der alten Logik der nuklearen Abschreckung treu zu bleiben“ (Dominic Johnson TAZ 6.5.2022): Deshalb ist Nachgeben, Sich einschüchtern lassen kontraproduktiv. Aufpassen muss man nur, wenn der Gegner sich ausweglos in der Enge sieht. Da muss man Gesprächskanäle offenhalten, vielleicht sogar ungeliebte. Erst der (relative) Sieg der Ukraine öffnet den Weg für Verhandlungen, die eine neue „friedliche Koexistenz“ in Europa möglich machen würden. Übrigens: Die Internationale Raumstation zirkuliert immer noch um die Erde.

© Dieter Kramer 12.05.2022

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