— Bacharach, Neue Rheinische Zeitung, Ehrenbreitstein, Friedrich Wilhelm IV., Metternich, Robert Blum, St. Goar, Loreley, Verschönerungsverein — 4 min read
Am 3. Mai 1849 berichtet aus Koblenz die Neue Rheinische Zeitung, das Organ der Demokratie, dass im (damals preußischen) Koblenz am 1. Mai die Armierung (Ausstattung mit Waffen und Munition) der Festungswerke Ehrenbreitstein begonnen hat und viele Wagen mit Pulver und Kugeln durch die Stadt und über den Rhein zur Feste hoch gefahren sind.
Die Preußen stellten sich auf gewalttätige Auseinandersetzungen ein. Nachdem der Preußische König Friedrich Wilhelm IV. am 28. April 1849 die deutsche Kaiserwürde aus der Hand der Demokratie schroff abgelehnt hatte, fürchteten die Preußen mit Recht Aufstände vor allem in Süddeutschland.
In Österreich und Ungarn war bereits der Kampf gegen die Demokratie im Gange. Metternich und Kaiser Ferdinand waren 1848 aus Angst vor dem Volk mehrmals aus dem aufständischen Wien geflüchtet.
Robert Blum wurde als Delegierter des demokratisch gewählten Paulskirchenparlaments am 9. Nov 1848 völkerrechtswidrig hingerichtet.
Es lag Krieg gegen das eigene Volk in der Luft, und die preußischen Truppen sollten sich darauf vorbereiten.
Ende April, Anfang Mai 1849 erhielt das preußische 2. Bataillon des 29. Infanterieregiments, das auf dem Weg nach Jülich war, Gegenbefehl zur Umkehr Richtung Mainz. Rekruten der preußischen Armee mussten sich zum Sammelplatz St. Goar begeben. Militärische Vorbereitungen waren unübersehbar.
Das ist der Hintergrund des zitierten Berichtes vom 3. Mai 1849. Den preußischen Soldaten auf dem Weg nach Mainz wurde befohlen, in Bacharach, Oberwesel und Umgebung zu bleiben.
Ich weiß nicht, wie lange die preußischen Soldaten als Fremde in Bacharach blieben. Wenn es Einquartierungen gegeben hätte, wäre das ein empfindlicher Auftritt von Fremden gewesen, denn in der Regel versorgten sich die Soldaten vor Ort mit all dem, was sie brauchten.
Vermutlich ging das eher rasch vorbei, denn im Zusammenhang mit der demokratischen Bewegung von 1849 kam es in unserer Gegend zu keinen militärischen Aktionen.
Später hat Bacharach eher von Fremden profitiert. Als die Stadt entdeckte, dass Fremde als Touristen Kaufkraft, sprich: Geld in die Stadt brachten, begann man sich auf sie einzustellen. Man musste das von ihnen gebrachte Geld gleich wieder investieren in Bauten und Wege, mit denen man sie zufriedenstellen und neue damit anlocken konnte – ein klassisches Nullsummenspiel, könnte man sagen, aber andere betrachteten es als „Fortschritt“ und Wohlstand.
Manche touristische „Wiederholungstäter“, die viele Jahre immer wieder kamen, zeigten ihre Verbundenheit mit dem Ort durch Spenden, mit denen die Attraktivität des Ortes gesteigert werden konnte.
Auch von anderen Fremden hat die Stadt profitiert. Vielleicht wurde das nicht so sehr empfunden bei den Franzosen: Sie haben aus napoleonischer Zeit und nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg dem kulturellen Leben nur einige neue Speisen, Backwaren und Wörter hinterlassen (etwa Raul für den Zwischenraum zwischen zwei Häusern: Idch meinte früher, das käme aus dem Mittelhochdeutschen, aber es kommt von französisch roale Sträßchen).
Dann kamen die US-Amerikaner, die Deutschland zusammen mit den anderen Verbündeten aus West und Ost von dem für Europa mörderischen Nationalsozialismus befreiten und in unserer Gegend die Hitler-Anhänger aus den Ämtern vertrieben.
Und wieder waren es die Franzosen, mit deren Hilfe 1951 auf der Loreley ein großes europäisches Jugendlager durchgeführt wurde. Die französische Militärregierung hat dafür das von ihr beschlagnahmte Gelände (Turnplatz, Turnerheim mit Blockhäusern, Jugendherberge) zur Verfügung gestellt.
In sechs Dekaden nahmen mehr als 10.000 Jugendliche aus 16 europäischen Ländern teil, Veranstaltungen mit hoher europäischer politischer Prominenz fanden statt (Leonhardt, Gustav: Chronik der Gemeinde Bornich. Bornich 1988: S. 138). Ich bin überzeugt, dass es dabei auch Ausstrahlungen auf das linksrheinische Ufer nach Bacharach gab.
Fremde in den Städten und Dörfern tragen bei zu jener Vielfalt, die heute von den Vereinten Nationen als „angesichts der Krisen der Moderne unverzichtbar“ betrachtet wird.
Das ist eine zentrale Aussage des Pérez de Cuéllar-Report (Our Creative Diversity. Report of the World Commission on Culture and Development [WCCD]. UNESCO-Publishing, Paris 1995/1996).
Der britische Historiker George Thomson (Aischylos und Athen. Eine Untersuchung der gesellschaftlichen Ursprünge des Dramas. Berlin 1956) schreibt 1940 aus seinem Zweitwohnsitz: „Besondere Erwähnung schulde ich meinen Freunden, den Bauernfischern von Blasket Island in West Kerry, die mir neben vielem anderen, was man aus Büchern nicht hätte schöpfen können, gezeigt haben, wie das Leben in einer vorkapitalistischen Gesellschaft aussieht.“
Fremde bereichern. Mit ihrer Hilfe können neue Herausforderungen bewältigt werden und dank ihrer sind Gemeinschaften Wandlungen nicht hilflos ausgesetzt.
Wie geht man mit ihnen um? Sicher erst einmal reserviert. Dann folgt gegenseitige Anerkennung, vielleicht sogar Wahrnehmung der unterschiedlichen Fähigkeiten und Eigenschaften, und am Ende gehen beide aus der Begegnung bereichert hervor. In einer Region, in der spätestens seit dem Römischen Reich immer Fremde durchzogen, Spuren hinterließen oder integriert wurden, weiß man das nur zu gut.
Auch aus den europäischen Orts- und Städtepartnerschaften sind schon manche Partnerschaften hervorgegangen. In der Begegnung ändern sich beide.
Dem „Verschönerungsverein Bacharach e.V.“ kam der zugezogene Ballettmeister Ivan Arkhoff sehr gelegen, als er der Winzertrachtengruppe 1952 ein Tanzspiel beibrachte (Festschrift 125 Jahre Verschönerungsverein Bacharach, S. 48/49) Das mag nicht jedermans Geschmack sein, aber für Bacharach war es wichtig.
Oft sind Lehrer oder Pfarrer bereichernde Fremde. Sie kommen in der Regel von anderswo, haben an anderen Orten eine spezielle Ausbildung genossen und Teile von Leben und Welt kennengelernt, die anders sind als die ihres neuen Wohnortes.
In Rüsselsheim am Main – viele kennen den Ort, weil bei der Adam Opel AG Menschen aus der ganzen Rhein-Main-Region arbeiteten – wurde 1905 ein „Heimatverein“ gegründet, ein Verein ähnlich dem Bacharacher Verschönerungsverein. Entscheidend für die Gründung waren hinzugezogene Lehrer und ein protestantischer Pfarrer. Volksbildungsvereine, oder schon im früheren 19. Jahrhundert, Heimat- und Geschichtsvereine, wurden oft durch Anregungen von außen gegründet.
Das gilt auch für Kunstvereine, ohne die lokale Künstlerszenen sich nicht entwickeln konnten. „Initiativpersonen“ sind immer wichtig. Das wissen auch die Ethnologen, wenn sie von den Vorteilen des „Lokalen Wissens“ sprechen: Es besteht aus Kenntnissen und praktischen Fähigkeiten, die unter örtlichen Bedingungen und in natürlichem und sozialem Umfeld entstanden sind. Auch fremde Experten können seiner teilhaftig sein, aber es bezieht sich immer auf die Erfahrungen im jeweiligen Umfeld. Und es ist nicht unbedingt traditionell: Auch neue Herausforderungen können entsprechende Erfahrungen bedeuten. Damit werden lokale Erfahrungen aus dem Gefängnis der Tradition befreit: Lokalität und Modernität können zusammen- und neue Mischungen eingehen.
Die Erfahrung ethnischer und kultureller Vielfalt ist prägend sowohl für die individuelle Sozialisation als auch in der sozialgeschichtlichen Entwicklung. Die Anerkennung von Vielfalt befähigt dazu, andere zu respektieren.
Kulturelle Vielfalt als Herausforderung und Bereicherung zu erleben und zu akzeptieren fördert Friedensfähigkeit. Kulturelle Homogenität hingegen ist keineswegs ein Garant für Harmonie. Sie provoziert im Gegenteil die Ausgrenzung derjenigen, die nicht in das konstruierte (keineswegs naturgegebene) Schema der eigenen Lebenswelt passen.