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R.O.M.
Regionalgeschichte des Oberen Mittelrheintals
von Prof. Dr. Dieter Kramer

Die Zuversicht, das Richtige zu tun: Sankt Goar und Martin Niemöller

St. Goar, Martin Niemöller, Oberwesel5 min read

Der Heilige Goar, Priester und Einsiedler, Namensgeber der beiden Städte links und rechts des Rheins im Welterbe Mittelrheintal, wurde um 459 in Aquitanien im Südwesten des nachrömischen Frankenreiches geboren. Er war Kind vornehmer Eltern und führte „ein tugendhaftes Leben“. Deshalb weihte ihn der Bischof zum Priester.

Weil er „wegen der Menge der ihn Besuchenden dem Gebete nach seinem Verlangen nicht obliegen konnte, so faßte er den Entschluß, sein Vaterland zu verlassen und Gott dem Herren in der Einsamkeit nach allen Kräften zu dienen.

Er floh heimlich aus seinem Vaterlande in das Bistum Trier und baute bei Oberwesel mit Erlaubnis des Bischofs ein Kirchlein, wo er täglich die heilige Messe lesen konnte, und ein kleines Haus zu seiner Wohnung.

In der Einsamkeit übte er sich in allen Tugenden eines Priesters. Den Heiden, die noch in derselben Gegend wohnten, predigte er mit großem Erfolge das Evangelium Jesu Christi.“

So steht es in einer besonders frommen Version seiner Lebens- und Wundergeschichte des frühen 20. Jahrhunderts (Legenda Aurea Auer/Vogel 1902, S. 519- 521).

Er hat damit Erfolg, aber man beschuldigt ihn des Hochmuts und anderer Fehler und denunziert ihn beim Bischof von Trier.

Der lässt ihn durch zwei Diener holen. Diese Abgesandten beherbergt er vor der Abreise, liest die Messe und lässt für diese Diener und einen zufällig auch vorbeikommenden Fremden das Frühstück bereiten. Um dem Gebot der christlichen Nächstenliebe zu entsprechen, vernachlässigt er damit die kirchlichen Gebets- und Speiseregeln.

„Die Diener ereiferten sich über den heiligen Priester und verwiesen ihn mit bitteren Worten, daß er gleich in der Frühe an Essen und Trinken denke. Dennoch begehrten sie, er solle ihnen einigen Vorrat von Speisen auf die Reise mitgeben.“ (S. 519) Das tut er, aber später sind diese Vorräte verschwunden, und erst durch ein Gebet des Heiligen werden die Reisenden gerettet, weil St. Goar zwei Hirschkühe dazu bringt, sich von ihm melken zu lassen. Beim Bischof (wo er seine Kutte an einem Sonnenstrahl aufhängt) soll er seine Kraft beweisen, indem er einen Säugling sagen lassen soll, wer seine Eltern sind. Der tut dies, obwohl er erst drei Tage alt ist, mit lauter Stimme. Mehr berichtet die „gereinigte“ Version des frühen 20. Jahrhunderts nicht. Es gibt eine ältere lateinischen Lebensbeschreibung von 839 (Wandalbert von Prüm: Vita sancti Goaris. Das Leben des hl. Goar übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Pfarrer Nikolaus Nösges, Oberhausen. (Hrsg.): Stadt St. Goar 1992). In diesem Text sagt St. Goar: „Heilige Dreifaltigkeit, ich flehe dich an, und du, Kind, ich beschwöre dich im Namen des Dreifaltigen: ‚Nenne uns deutlich, wer deine Eltern sind! Da streckte das Kind seine Hand zum Bischof aus und sprach mit fester Stimme: ‚Der da ist mein Vater, der Bischof Rusticus, und meine Mutter heißt Flavia.“ (S. 22) „Dadurch wird der Heilige glänzend gerechtfertigt und von allen Anklagen freigesprochen.“

Angesichts solcher Wunder fordert das Volk und der König, St. Goar solle anstelle von Rusticus Bischof von Trier werden (zwischen 765 und 839 gib es noch 34 weitere Wunderberichte). St. Goar aber entzieht sich dem, kehrt für Bedenkzeit in seine Zelle in St. Goar zurück, kann sich aber dem Wunsch durch Krankheit entziehen, nachdem er sieben Jahre stellvertretend für den sündhaften Bischof Buße getan hat. 575 stirbt er, seine Mönchsklause wird Wallfahrtsheiligtum.

Gegen den Widerstand seines Vorgesetzten handelt Goar in der Zuversicht, das Richtige zu tun. Auch im Angesicht der Macht bleibt er dabei, und deshalb ist er später vielen katholischen Gläubigen Vorbild. In der jüngsten Zeit sind Wunder nicht mehr üblich.

Nur noch Verschwörungstheoretiker berufen sich auf Fake News und auf unbeweisbare Behauptungen nach der Art des Hanauer Beweises von Jean Jacques Schärttner, von dem es heißt: „Mehr als einmal soll er den zweifelnden Bedenken an der Wahrheit seiner Erzählungen mit dem Einwand begegnet sein: ‘Wozu behaupt ich‘s dann, wann ich’s noch beweise soll?‘“ (Hessler <Heßler>, Carl: Hessische Volkskunde. Marburg: Elwert 1904; Frankfurt am Main: Weidlich Reprints 1979.: 402) Wohl aber gibt es auch in der jüngeren Zeit noch Menschen, die zuversichtlich sind, das Richtige zu tun, auch wenn sie auf Widerstand stoßen.

St. Goar erinnert mich an Martin Niemöller. (Lippstadt 1892 bis Wiesbaden 1984, zuletzt Kirchenpräsident von Hessen-Nassau).

Er gehörte zu dem Kreis der „Bekennenden Kirche“, die sich 1934 in der Bekenntnissynode von Barmen 1934 unter seiner aktiven Mitwirkung gegen die „Gleichschaltung von Staat und Kirche“ durch die Nationalsozialisten wehrte.

In der „Barmer Erklärung“ dieser Synode von 1934 steht:

„Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.“

Und: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären.“

Als Niemöller und weitere protestantische Pfarrer sich mit Adolf Hitler treffen, streitet er sich mit ihm und bleibt bei seinem Bekenntnis zu der Barmer Erklärung. Wegen seiner Haltung wird er 1938 in Berlin vor Gericht gestellt. Unmittelbar vor seiner Verhaftung besucht er den ihm verbundenen Schulkameraden Pfarrer Ernst Königs in Weisel im Rhein-Lahn-Kreis.

In dem Prozess wird er zwar freigesprochen, aber nicht freigelassen, und er bleibt als „persönlicher Gefangener Hitlers“ im KZ Sachsenhausen bei Berlin in Haft, später in Dachau.

In Erinnerung an diese Zeit hat Niemöller später gesagt:

„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschaftler holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschaftler. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“ (Heymel, Michael: Martin Niemöller.

Vom Marineoffizier zum Friedenskämpfer. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft/Lambert Schneider 2017, S. 266/267). Niemöller nennt damit diejenigen politischen Gegner, die sich der Politik der Nationalsozialisten entgegenstellten und deswegen aus ihren öffentlichen Berufen entlassen wurden, viele davon kamen in Konzentrationslager, manche ermordet. Und er protestiert gegen eine Politik, von der man erkennen konnte, dass sie Krieg, Eroberung und Völkermord plante: Juden, Sinti und Roma wurden wegen der ihnen zugeschriebenen angeblich stabilen „rassischen“ Unterschiede, andere wegen ihrer politischen oder religiösen Überzeugung oder ihrer sexuellen Orientierung in Lager verfrachtet und Millionen davon umgebacht, andere wegen Behinderung ermordet. Alles weil man phantasierte von einem „völkischen“, ethnisch-kulturell („rassisch“) einheitlichen („homogenen“) Volk und Staat, wie es weder vor noch nach der Völkerwanderung, schon gar nicht in der späteren Zeit je existierte (an solche Zusammenhänge kann man nicht oft genug erinnern).

In der Zeit nach dem 2. Weltkrieg bedeutet seine dann gewonnene Überzeugung für Niemöller viel neue Feindschaft.

Im „Nassauer Hof“ in Wiesbaden nimmt er am 6. Juni 1954 teil an einem Gespräch mit Vertretern der EKD und den Naturwissenschaftlern Werner Heisenberg, Carl Friedrich von Weizsäcker und Otto Hahn teil (es sind Unterzeichnern des „Göttinger Manifests“ gegen die militärische Nutzung der Atomkraft).

Davon wird berichtet: „Hahn sagte, ‚für die Wissenschaft ist es kein Problem mehr, einen Apparat zu konstruieren, mit dem man alle Lebewesen auf der Oberfläche dieses Globus verschwinden lassen kann oder sterben lassen kann.‘

Und, na ja, darauf gab‘s ein großes Schweigen…“, erinnert Niemöller.

Seine Konsequenz: Krieg ist also „die totale Absage an Gott und an den Menschen. Das geht nicht, dazu kann man bloß bedingungslos Nein sagen.“ (Heymel S. 216/217) So begründet sich der Pazifismus von Niemöller; Papst Pius XII. warnt ähnlich, und ich selbst begründete meine Kriegsdienstverweigerung mit diesen Argumenten Niemöllers. - Ob man heute mit einer solchen Einschätzung UN-Einsätze anders bewerten muss, solange mit ihnen kein Atomkrieg droht, ist zu überlegen.

Am 3. Juni 1958 hat Niemöller bei einer Kundgebung auf dem Römerberg in Frankfurt am Main (vermutlich im Zusammenhang mit der Bewegung „Kampf dem Atomtod“ gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr) gesagt:

„Wer sich an der Aufrüstung mit modernen Massenvernichtungsmitteln beteilige, sei ‚praktisch ein Atheist‘“ (Heymel S., 217).

„Was würde Jesus dazu sagen?“

Diese Frage begleitet Niemöller von Jugend an. Auf seinem Grab im Dorffriedhof in Wersen/Westfalen steht: „Herr, was willst du, dass ich tun soll?“ (Heymel S. 275). Die für ihn vorgesehene Grabstelle auf dem St.Annen-Friedhof in Dahlehatte er dem Studentenprotestler Rudi Dutschke überlassen.

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