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R.O.M.
Regionalgeschichte des Oberen Mittelrheintals
von Prof. Dr. Dieter Kramer

St. Goar, Ferdinand Freiligrath und die Stiftung der Hohenzollern-Prinzessin Kira von Preußen

St. Goar, Preußen, Ferdinand Freiligrath, Landrat Heuberger, Kira-Stiftung, Hohenzollern5 min read

Am 13. Juli 2021 reisten zehn Jugendliche aus einer intensivpädagogischen Wohngruppe zu fünf Ferientagen auf die Burg Hohenzollern in Württemberg. Begleitet wurden sie von neun Betreuern (ein großzügiges, selten realisierbares Zahlenverhältnis).
„Einmal auf einer historischen Burg zu wohnen, war bereits für alle ein faszinierendes Erlebnis! ... Unter den Fittichen unserer Haushälterin genossen sie es aber auch einfach, in der Burg verwöhnt und umsorgt zu werden.
Besonders viel Eindruck hinterließen die ehrwürdigen Säle und Gemächer der Burg, durch die sie eine Exklusivführung erhielten, sowie der geheimnisvolle Dachboden, den sie entdecken durften.“
„Unsere Zeit auf der Burg war so wunderbar!“, bedankten sich mit rührenden Worten die Betreuer und die Jugendlichen bei der Prinzessin Kira von Preußen Stiftung.
Sie lädt Kinder- und Jugendgruppen mit Betreuern zu kostenlosen Ferien auf der Burg Hohenzollern ein. Im Internet-Auftritt lesen wir, dass diese Stiftung 1952 gegründet wurde durch Kira Prinzessin von Preußen und ihren Ehemann Dr. Louis Ferdinand Prinz von Preußen als Jugenderholungswerk auf der Burg Hohenzollern, dem Stammsitz der Familie.
Mit kostenlosen Ferien auf der Burg wollten sie etwas Gutes tun für Kinder und Jugendliche, die unter der dramatischen Lage nach dem Krieg besonders litten.
Im Sommer 1954 konnten die ersten 20 jungen Gäste über die Luftbrücke aus dem zerstörten Berlin zu Erholungsferien auf die Burg Hohenzollern anreisen.
Bislang, also in 68 Jahren, konnten insgesamt über 14.000 Kinder und Jugendliche einen kostenfreien Ferienaufenthalt auf der Burg Hohenzollern genießen.
Die Stiftung liegt in den Händen der Hohenzollern-Familie. Laut Internet-Auftritt hat sie ein eher bescheidenes Vermögen und Budget. Für 2021 wird angegeben:

Grundstockvermögen: 178.396,26 Euro (Stand: 31.12.2019)
Ausgaben: 110.572,71 Euro für satzungsgemäße und 8.679,67 Euro für die Verwaltung der Stiftung (Stand: 31.12.2018)

Inzwischen kann die Stiftung nach vertraglicher Absprache zwischen der Stadt St. Goar und der Familie Hohenzollern zur Finanzierung ihrer Arbeit auch zurückgreifen auf einen Anteil an den Eintrittsgeldern der Burg Rheinfels in St. Goar:
Die Hohenzollern verzichteten auf ihren kaum einklagbaren Anspruch auf die Ruine, die wie einige Burgen am Rhein 1815 nach der Vergrößerung von Preußen durch den Wiener Kongress an Hohenzollern-Prinzen verschenkt wurden, die sie neu konstruierten.
Bei der nicht weit entfernte Burg Rheinstein geschah dies mit Bausteinen aus dem säkularisierten Kloster Heisterbach bei Bonn und aus dem damals noch unvollendeten Kölner Dom.
Rheinstein wurde ein romantisches, die Burg Stolzenfels gegenüber von Lahnstein ein klassizistisches Bauwerk.
Im Internetauftritt der Kira-Stiftung gibt es ein Foto von einer kleinen Schar fröhlicher Mädchen, die alle ein selbstbemaltes T-Shirt tragen mit der Aufschrift „Einmal im Leben Prinzessin sein“. Davon haben immer schon viele Mädchen geträumt, nur passt es sich heute der Rosa-Mode an und wirkt wie vollkommen aus der Zeit gefallen. Eher widerwillig erfüllen heute manche Eltern diesen Traum mit entsprechenden Kleidchen.
So schafft man Sympathien für ein württembergisches Provinz-Adelsgeschlecht und ehemaliges preußisch-deutsches königlich-kaiserliches Herrscherhaus.

Die Hohenzollern sind eine Familie, die zu denen gehört, für die nach dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (EALG) von 1994 für nach 1945 beschlagnahmten Immobilienbesitz eine Kompensation in Geld vorgesehen war. Eine Rückgabe war nur für bewegliches Gut vorgesehen. Darüber hinaus gibt es in dem Gesetz eine „Unwürdigkeitsklausel“, nach welcher derjenige nicht entschädigt werden darf, der dem Nazi- oder dem DDR-Regime „erheblichen“ Vorschub geleistet hatte. Dass Hohenzollern-Angehörige durch ihr öffentliches Auftreten mit Hitler und anderen Größen des NS-Regimes diesem Vorschub leisteten, ist unbestritten. Allenfalls ob dies angesichts der damaligen Bedeutungslosigkeit der Familie „erheblich“ war, könnte man noch bezweifeln (Machtan, Lothar: Der Kronprinz und die Nazis. Hohenzollerns blinder Fleck. Berlin 2021, Rez. Hoser, Paul in TAZ 14./15. August 2021; vgl. Schmidt, Thomas E.: Kein Herz und eine Krone. Die Zeit v. 3.12.2020 S. 60)

Deswegen war der Deal, den die Stadt St. Goar mit der Kira-Stiftung abschloss, höchst umstritten.
Im aktuellen Internetauftritt der Kira-Stiftung wird ein Projekt in St. Goar besonders hervorgehoben. Der Regisseur und Komponist Todd Fletcher und seine Mitarbeiterin bereiten mit Jugendlichen ein „Musical“ vor, das am 21. August in der Rheinfelshalle in St. Goar Premiere feiern soll.
Solche Bildungsaufenthalte mit einer Abschlussveranstaltung sind in der Jugendbildung vertraute Muster. Die Hessischen Jugendbildungsstätten Dietzenbach oder Dörnberg, das gewerkschaftliche Jugendbildungszentren Wannseeheim in Berlin und viele andere haben in den 1970, 1980 Jahren Projekte dieser Art realisiert. Legendär ist die Geschichte von den arbeitslosen Jugendlichen aus Nancy, die einen Theater-Workshop im Wannsee-Heim in Berlin absolvierten und nach der Rückkehr in Nancy alle einen Arbeitsplatz fanden.
Die meisten dieser Aktivitäten, auch die von der Stiftung „Jugendmarke“ finanzierten, sind anscheinend seit den 1980er Jahren der „geistig-moralischen Wende“ und dem Sparen zum Opfer gefallen. Und was in der gegenwärtigen Krise der Demokratie am wenigstens gebraucht wird, sind Jugendkulturszenen, die sich von Prinzessinnen, Burgen und ehemals gekrönten Häuptern einfangen lassen: Die sind Gift für die Demokratie. Allzu oft sieht man oder sah man noch die Fahne des autoritären Preußen oder gar die Reichskriegsflagge. In dem von der Kira-Stiftung geförderten Musical sollten die jungen Menschen bei der Vorbereitung auch auf die Geschichte von St. Goar eingehen. Herausgekommen aber ist anscheinend ein bescheidenes Ritterschauspiel. Dabei hätte es in der Geschichte von Goar so schöne Szenen gegeben. Da wären sie getroffen auf den Heiligen Goar: Er war alles andere als nur ein frommer Wohltäter. Er musste das, was ihm als Christ wichtig war, gegen den Willen seiner Kirchenoberen durchsetzen, und war auch kein treuer Diener der Herrschaft wie etwa der Hohenzollernsche Hofprediger und Antisemit Adolf Stoecker im 19. Jahrhundert.
Vielleicht wäre die Jugendlichen in St. Goar auch gestoßen auf die wunderbare Männerfreundschaft des staatstragenden preußischen Landrats Karl Heuberger mit dem demokratisch-revolutionären Dichter Ferdinand Freiligrath. Der wohnte 1842-1844 in St. Goar und entwickelte sich in dieser Zeit als linksliberaler demokratischer Schriftsteller. Der Konflikt des preußischen Hohenzollern-Königs Friedrich Wilhelm IV. mit dem demokratisch gewählten Landtag hatte ihn politisiert. Im Mai 1844 zieht er sich für ein paar Wochen nach Assmannshausen (die Stadt gehörte damals zu Nassau) zurück und vollendet dort fern vom preußischen Gebiet sein „Glaubensbekenntnis“.
In dieser radikaldemokratischen Gedichtsammlung stellt er sich erstmals offen gegen die demokratiefeindliche preußische Verwaltung, Zensur und Justiz.
„Fest und unerschütterlich trete ich auf die Seite derer, die sich mit Stirn und Brust der Reaktion entgegenstemmen! Kein Leben mehr für mich ohne Freiheit.“ (Freiligrath am Scheideweg. Berlin1948)

Das sind die Wünsche, die wir heute aus Belarus, Russland, Syrien und vielen anderen Stätten kennen.
Der Hohenzollern-König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen hatte Freiligrath einst ein Ehrengehalt von 300 Talern bewilligt, weil er sich an der Rettung der Ruine des romantisch aufgewerteten „Rolandsbogens“ gegenüber dem Siebengebirge beteiligt hatte. Mit Erscheinen des „Glaubensbekenntnis“ wirft er dieses Ehrengehalt symbolisch dem König zu Füssen (eine inzwischen wieder vertraute Geste). Landrat Heuberger, treuer preußischer Staatsbeamter, versucht in St. Goar vergeblich Freiligrath zu „entradikalisieren“. Aber seinem demokratiefeindlichen Hohenzollernkönig konnte er nicht ins Gewissen reden, und so ließ sich auch Freiligrath nicht beeinflussen.

Was die „gekrönten Häupter“, so auch die Hohenzollern, in dieser Zeit nach dem Ende der „Befreiungskriege“ als angebliche „Fürsten von Gottes Gnaden“ mit nicht gehaltenen politischen Verfassungs-Versprechungen, mit „Demagogenverfolgungen“, Bespitzelungen und Ausweisungen alles angerichtet haben und wie sie die Lebensperspektiven vieler junger Menschen, Studenten und Professoren zerstörten, daran erinnert Freiligrath in seinen Gedichten, ebenso an die moralische Verdorbenheit vieler dieser Fürsten.

Der preußische Landrat Heuberger hat mit seiner unerschütterlichen Freundschaft zu dem „Staatsfeind“ dafür gesorgt, dass demokratisches Denken eine Chance behielt.
Er schreibt am 8. Februar 1847 an Freiligrath: „Männer von politischer oder religiöser Stimmungsverschiedenheit können deshalb doch Freunde sein.“
Und Freiligrath selbst meinte schon am 23.2.1846: „Wer selbst ehrenhafter Gesinnung fähig, der wird es gewiß nur ehren, daß, nachdem unsere politischen Ansichten entschieden auseinandergingen und wir, wie Männer, offen und rückhaltlos und zuweilen scharf und derb uns gegeneinander ausgesprochen haben, dies doch unseren, aus gegenseitiger Achtung entsprungenen freundschaftlichen Beziehungen keinen Eintrag tat. So sollte es allgemein sein. Der Sache Feind, des Mannes Freund!“

Es verwundert, dass gerade in St. Goar, einer Stadt mit früheren Bewohnern wie dem kirchenkritischen St. Goar oder dem Freund des Demokraten Ferdinand Freiligrath, eine hohenzollernnahe Stiftung Bildungsprogramme abzieht und auch noch indirekt finanziell dabei unterstützt wird.

Ist da irgendwo wenigstens deklamatorisch festgelegt, dass Jugend-Bildungsprogramme im Geiste des demokratischen und sozialen Rechtsstaates stattfinden sollen?
Ist nicht in Zeiten von „Reichsbürgern“, neovölkischen und sonstigen „Verschwörungsideologien“ die Erinnerung an demokratische Traditionen wichtiger als anderes? Auf die Gefährdung der Demokratie muss auch die Jugendbildungsarbeit reagieren. Das klingt jetzt sehr moralisierend, aber darf man nicht daran erinnern?

© 20.08.2021 Dieter Kramer kramer.doerscheid@web.de

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