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R.O.M.
Regionalgeschichte des Oberen Mittelrheintals
von Prof. Dr. Dieter Kramer

Krankenhaus St. Goar und die Infrastruktur des demokratischen Staates

St. Goar, duales Krankenhausfinanzierungssystem, Boppard, Oberwesel, Gemeineigentum4 min read

Deutschland hat ein duales Krankenhausfinanzierungssystem. Bau, Unterhalt und Investitionen sind Aufgabe der Bundesländer, die laufenden Kosten für Personal und Investitionen tragen die Krankenkassen. Fehlende bzw. ungenügende Investitionen müssen die Häuser durch Kredite decken, die Bilanzbelastung hat sich in den letzten zwanzig Jahren vervierfacht, deswegen stehen viele vor der Insolvenz. Finanzieren müssen sie sich durch „diagnosebezogene Fallpauschalen“, was dazu verleitet, Liegezeitverkürzung und Fallzahlerhöhung anzustreben.

Das bedeutet Druck der Geschäftsleitungen auf die ärztlichen und pflegerischen Berufe. Die ganze arbeitende Belegschaft, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden zu ökonomischem Denken gezwungen. „Nur dasjenige Krankenhaus, das mit möglichst geringen Kosten Kranke in möglichst kurzer Zeit behandeln kann, macht Gewinne.“ Unternehmensberatungen helfen den Krankenhäusern dieses Ziel zu erreichen. Privatisierungen entlasten die zur Finanzierung verpflichteten Länder und Kassen, und drohende Insolvenzen werden durch Verkauf abgewendet. Krankenhausschließungen und Verkäufe sind nichts anderes als Diebstahl und die „Vernichtung von Gemeineigentum“. (Klinikschließungen. Zahlen, Gründe, Folgen. Bündnis Klinikrettung. TAZ Beilage 12.03.2021. Gemeingut in BürgerInnenhand).

Das Krankenhaus in St. Goar ist ein Beispiel dafür.

Der Heilige Goar hat nicht nur gebetet und Spenden gesammelt. Er hat sich auch um Kranke gekümmert und den Armen Nahrung gespendet. Christen fühlen sich immer verpflichtet, den Armen Almosen zu spenden. Als Gegenleistung beten die dann für die Spender, deswegen sind für die Gläubigen die Spenden Stufen auf der Leiter zum Himmel, zu der den Frommen versprochenen Ewigen Seligkeit.

Juden und Muslime wissen auch, dass sie verpflichtet sind, einen Anteil ihrer Einkünfte für die Armen und für die religiösen Einrichtungen zu spenden.

In der bürgerlich-marktwirtschaftlichen Welt glauben die Menschen mit der Zahlung von Steuern alle Verpflichtungen abgegolten zu haben. Der soziale und demokratische Rechtsstaat sorgt mit diesen Steuern für die ihm durch die Verfassung (das Grundgesetz) zugewiesenen Aufgaben: die nötige Infrastruktur von Verkehr, Bildung, Kultur, Soziales und Gesundheit.

Die Gemeinwohl-Verpflichtung des Eigentums ist eine zusätzliche Aufforderung, das Wohl des Ganzen im Auge zu behalten. Es bleibt eigentlich nur noch fallweise Mildtätigkeit oder Bürgerschaftliches Engagement. Wenn allerdings, wie unter dem Einfluss wirtschaftsliberaler Theorien, die öffentliche Hand zu radikalem Sparen aufgefordert wird, steigt der Bedarf dafür: „Tafeln“ mit Lebensmitteln für Notleidende sind inzwischen auch in der Region eine Selbstverständlichkeit (als Nebeneffekt werden dadurch nicht mehr soviel Lebensmittel verschwendet). Bettelnde sind auch nicht mehr selten. Je mehr der Staat der „Schwarzen Null“ wegen im Haushalt spart, desto fragiler wird die Infrastruktur. Mit Corona wurde das im Bildungssystem und in der Gesundheitsversorgung deutlich.

Die Armen- und Krankenversorgung war früher religiöse Verpflichtung, und damit nicht nur abhängig vom allgemeinen Wohlstand, sondern auch vom Engagement einzelner Menschen.

In St. Goar wurde 1137 das Benediktiner-Kloster, eine Kirche und ein Hospital „Jerusalem Hof“ von Räubern geplündert und abgebrannt (eine Stadt muss damals in der Lage sein, sich selbst zu schützen). Haus „Neu Jerusalem“ war vor 1344 für durchreisende Pilger und auswärtige Gebrechliche bestimmt.

1344 wurde für die städtischen Armen und Kranken ein zweites Hospital erbaut (Mallmann, Walter: Die St. Goarer Krankenhausgeschichte. Von der Klause des hl. Goar bis zu den Loreleykliniken. St. Goar: Förderverein Krankenhaus St. Goar e.V 201918), ein „Pulverschlag“ zerstörte es 1759. Als 1815 St. Goar preußisch wurde, gab es kein Krankenhaus. 1864 waren im Kreis St. Goar nur in Bacharach, Oberwesel und Boppard Hospitäler.

In St. Goar gab es zwei Frauenvereine, die Kranke im Ort mit Kost aus den Haushaltungen der Mitglieder versorgten. (Mallmann 19) Einer davon beginnt 1841 mit dem Sammeln von Spenden für ein Krankenhaus.

1877 spendet der preußische Landrat Carl Movius Geld und beginnt einen „Sammelfond“ zur Errichtung des Krankenhauses. Sachspenden und Verlosungen, Veranstaltungen und „Bettelmännchen“ sowie Sammelbüchsen für Zigarrenspitzen, Stanniol, Zinn und Blei stehen in den Gasthäusern.

1888 „geruht“ Kaiser Friedrich (der im gleichen „Dreikaiserjahr“ an Kehlkopfkrebs stirbt) aus „Allerhöchst ihrer Privatschatulle huldvollst“ einen Jahresbeitrag von 300 Mark für ein „Kranken- und Armenhaus“ zu bewilligen (S. 2) Zur Erinnerung: In dieser „Schatulle“ ist das Geld, das er, ohne zu arbeiten, von seinen „Untertanen“ einstreicht. Die Nachfahren aus seiner Familie ertrotzen sich 2020 besondere Privilegien bei der Verwaltung der einst ihnen im Wiener Kongress von Metternich samt dem ganzen Territorium zugesprochenen Burg in St. Goar. Wenig später wird mit dem Bau des Krankenhauses begonnen, am 2. 5. 1897 wird das Krankenhaus eröffnet, 1958 ein Neu- und Erweiterungsbau.

Kaum mehr als 20 Jahre später gibt es unter Sozialminister Heiner Geißler (CDU) einen Plan, „im Interesse der Kosteneinsparung im Gesundheitswesen kleinere Krankenhäuser zu schließen.

In St. Goar handelte man. Eine Bürgerinitiative organisierte für den 20. Januar 1977 mit etwa 15 Omnibussen eine beeindruckende Demonstration in Mainz.“ (Mallmann)

Die Schließung wird abgewendet, zusammen mit Oberwesel und den Waltbreitbacher Franziskanerinnen wird 1986 eine Abteilung für Konservative Orthopädie und Manuelle Medizin gebildet.

Jetzt - 2020/2021 – wird wirklich geschlossen. In einer deutschlandweiten Schließungsorgie wird mit allen sprachlichen Tricks wie „Weiterentwickeln“ und „zukunftsfähig machen“ und „Verbesserung der medizinischen Versorgung“, „Verlagerung von Standorten“ verschleiert, dass die Kliniken zu „Profitzentren“ werden sollen. Akutversorgung in der Fläche wird auf gemeingefährliche Weise gefährdet. (Klinikschließungen. Zahlen, Gründe, Folgen. Bündnis Klinikrettung. TAZ Beilage 12.03.2021. Gemeingut in BürgerInnenhand).

Manchmal gibt es auch heute Gegenwehr:
Als im südtiroler Vinschgau 2019 die Geburtshilfestationen zentralisiert werden sollten, gab es wie in St. Goar so viel Widerstand, dass man es unterließ.

Krankenhäuser gehören zur Infrastruktur der Daseinsvorsorge. Zu ihr ist der demokratische und soziale Rechtsstaat laut Grundgesetz verpflichtet. Die Verringerung der Zahl der Krankenhäuser hat in der Corona-Krise Folgen: „Ganz Deutschland musste herunterfahren, damit die Leistungsgrenze der Krankenhäuser nicht überschritten wird“, wenn es um Intensivbeten geht.

Dass Gemeinschaftseigentum, das unter Mithilfe aller Bürgerinnen und Bürger im 19. Jahrhundert gegründete Krankenhaus St. Goar, ist privatisiert. Vom katholischen Eigentümer wurde es trotz guter Ertragslage und Rücklagen aus betriebswirtschaftlichen Gründen geschlossen. Die Beschäftigten im „Tendenzbetrieb“ (sie mussten einer der christlichen Konfessionen angehören) sind entlassen, und sie werden, so hörte ich, gebeten, ihre Abfindungen vorerst nicht abzurufen, weil sonst möglicherweise der katholische Träger in Konkurs gehen könnte. Die Ärmsten, ohne die keine Klinik existieren kann, die Putzfrauen, die für ihre Familien angewiesen auf die karge Entlohnung sind, traf es am schlimmsten.

Bei meiner Examensprüfung in Marburg an der Lahn hatte ich 1966 das Thema „Arbeiterselbstverwaltung in Jugoslawien“. Damals wurde gerade die jugoslawische Verfassung in Richtung auf mehr Entscheidungsfreiheit für die selbstverwalteten Betriebe verändert. Mein Lehrer Wolfgang Abendroth fragte mich nach den Auswirkungen, die das für Krankenhäuser haben würde, und wir waren uns einig, dass man das Gesundheitswesen keinesfalls privatisieren und Wettbewerbsbedingungen aussetzen dürfe. Es gehöre auf jeden Fall zu der vom Staat zu garantierenden und von allen mitfinanzierten Infrastruktur des Sozialstaates. Ich will, gerade weil ich Kulturpolitiker bin und viele Jahre im Museum gearbeitet habe, nichts gegeneinander ausspielen: Bei Museen leistet man sich mit guten Gründen den „Luxus“, Gebäude und Personal auch bei geringer Nutzung vorzuhalten, weil man weiß, dass sie nicht nur zur Lebensqualität beitragen, sondern auch dabei helfen, jene Werte zu festigen, die zur Sicherung des Zusammenhaltes der Gesellschaft unentbehrlich sind, auch wenn sie nicht ständig frequentiert sind. Und beim Sozialstaat?

© Dieter Kramer kramer.doerscheid@web.de

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