— Loreley, Touristen, Mythenweg, Kreativität — 3 min read
Es läßt sich auf Dauer nicht vermeiden, irgendwann muss auch hier etwas über die Loreley geschrieben werden.
Früher haben die Touristen gemeint, sie würden eine Landschaft, einen Ort für sich „entdecken“.
Bei der Loreley geht das nicht mehr,
wenn es nach den jetzt allmählich realisierten Plänen geht:
Da werden die Besucher (sie werden später wohl auch Eintritt zahlen müssen) auf dem Loreley-Plateau
in einen Parcours geleitet,
in dem ihnen auf festgelegten Wegen und Ruhepunkten ein „Mythen“-Rundweg präsentiert wird.
Mit dem wird ihnen gesagt, was sie „entdecken“ und erleben sollen.
Museumleute haben früher gern von einem „Zwangsrundgang“ gesprochen, wenn den Besuchern vorgegeben wurde,
wie sie eine Ausstellung in einem vorgegebenen Parcours besichtigen sollen. Nur so, meinte man, könne man die „Botschaft“ der Ausstellung
den Besuchern vermitteln.
Oft wurde in Kunstmuseen mit Texten auch gleich „erklärt“, wie man das Werk „verstehen“ soll.
Die Besucher haben solche Informationen gern übernommen: Sie konnten ein Werk damit kunstgeschichtlich einordnen – sonst aber nichts.
Sie brauchten sich dann nicht mehr die Mühe zu machen, zu fragen: Was sehe ich denn auf diesem Bild?
Der Betrachter kann das Objekt als auffordernde Frage verstehen: Was will das Bild, der Gegenstand, die Landschaft von mir?
Was fängst du an mit dem was da vor dir ist?
Er kann die eigenen Augen nutzen und das, was er sieht, mit seinen eigenen Erfahrungen verknüpfen und es so in seine Lebensgeschichte
und Persönlichkeitsentwicklung einbauen.
Informationen über das Objekt können für den wenig vorbereiteten Betrachter hilfreich sein.
Sie sind es vor allem dann, wenn sie Anlaß sind, genauer hinzuschauen. Die Interpretation des Gesehenen sollten
dann aber dem Besucher überlassen bleiben. Sein eigenes Hinsehen, Nachschauen, Nachdenken soll angeregt werden.
Auf der Loreley wird mit dem später einmal vollendeten „Mythenweg“ dem Besucher diese Mühe (eher: dieses lustvolle Erlebnis) genommen.
Mit dem Zwangsrundgang auf dem Loreleyplateau bekommt er gesagt, was er zu „erleben“ hat.
Aber auf eigene Faust etwas zu „entdecken“ gibt es immer noch:
Zuerst wird man ja auf einem in den Felsen gesprengten breiten Weg zum Aussichtspunkt geleitet.
Es ist gleichsam eine „Prozessionsstraße“, wie manche spotten.
Führt sie etwa auf einen Platz, von dem aus Opfer in die Tiefe gestürzt werden?
Nein, sie führt „nur“ zu einer Aussicht von der Spitze des Loreley-Felsen hinunter auf den Strom
und auf ein Lager von Baustoffen am anderen Ufer (man hofft, es noch hinweg zu bekommen).
Aber schon zu Beginn dieses Weges wird der Blick gerichtet auf die gegenüberliegende Höhe jenseits des Flusses.
Man sieht dort die Fensterfront eines Hauses, man vermutet, es ist ein Gasthaus.
Nach einer kurzen Recherche in Smartphone erfährt der Besucher:
Das ist das Restaurant „Maria Ruh“ am „Loreleyblick“ in Urbar.
Was der Besucher nicht weiß: Von ihm aus hat man einen wunderbaren Blick zum Loreley-Plateau,
auf dem sich wie Ameisen die Besucher bewegen.
Ich habe noch erlebt, dass da an den Fenstern Ferngläser lagen, mit denen man hinüberblicken konnte.
Es waren meist solche französischer Produktion und sie stammten vielleicht aus den Beständen der
französischen Besatzungsarmee, die nach 1945 in dieser Gegend stationiert war.
Solche „Sichtachsen“ sind meist kein Zufall, und ich bin gespannt, wie man später diesen Blick interpretieren wird.
Aber zurück zum Zwangsrundgang. Manche Besucher, kann man vermuten, erleben gern ein jahrmarktähnliches Vergnügen
und werden es nachher abhaken können: Ja, ich war auf der Loreley und habe gesehen, was dort angeboten wird.
Aber trotz aller vorgeschlagenen Rundgänge auf dem Loreley-Plateau wollen sich viele Besucherinnen und Besucher, freie Individuen,
nicht einfügen in den (freilich noch nicht fertigen) Mythen-Weg mit verordneten Verweilstellen.
Konsequent haben sie informell und kreativ ihren eigenen Weg zurück zum Eingang aus dem Zwangsrundgang gebahnt,
ohne Rücksicht auf die noch jungen, leicht zu zertrampelnden stachligen Zwergrosenstöcke.
Das ist eine kreative Reaktion auf verordnete Zwangsrundgänge.
Der informelle Weg wurde inzwischen auch informell anerkannt: Der Trampelpfad wurde durch begrenzende Steine kanalisiert. Es zeigt sich: Kreativität ist auch den Loreley-Besuchern durch einen Zwangsundgang nicht auszutreiben,
denn Kreativität ist die am gleichmäßigsten über die ganze Welt verbreitete Ressource, wie es im "World Culture Report" der UNESCO von 1998 heißt.
© Dieter Kramer kramer.doerscheid@web.de 17. Oktober 2020