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R.O.M.
Regionalgeschichte des Oberen Mittelrheintals
von Prof. Dr. Dieter Kramer

Krieg und Moral

Ukraine, Nato, Putin, Zhadan, Friedenspreis2 min read

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Da kennt das Grundgesetz keine Ausnahmen. Putin hatte bei mir schon vor vielen Jahren allen Kredit verloren, als er seine Gegner verglich mit Ratten oder Insekten, die man zertreten, vernichten müsse (oder so ähnlich). Andere hielten ihn da immer noch für „ einen lupenreinen Demokraten“ und schlossen Gashandelsverträge mit ihm ab. Ich wollte ihn damals immer nur noch an seinen Taten und nicht an seinen Worten messen. Damals gab es gehaltene Verträge, und es gab eine beklatschte Rede von ihm im Deutschen Bundestag.

Mein im Zweiten Weltkrieg gebliebener Vater hatte in seinem Dorf im Taunus nirgendwo auch nur den Ansatz der Chance, eine demokratisch-humanistische politische Bildung zu bekommen. Er und seine Frau ließen sich von den Nationalsozialisten verführen - politisch kannten sie kaum etwas anderes. Nach 1945 (und ansatzweise schon vorher) erfuhr meine Mutter von den schlimmen Taten der Nationalsozialisten. Sie selbst fühlte sich daran unmittelbar nicht beteiligt. Mein Vater und sie selbst waren doch keine Verbrecher, sagte sie. Aber das menschenverachtende Vokabular der Nazis und ihre Tiervergleiche hat sie nach den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus uns Kindern konsequent verboten. Solche Vokabeln, wie sie die Nazis gebrauchten, durften wir für Menschen nicht verwenden, gleich ob es Feinde, nichtbeliebte Mitmenschen oder Behinderte sein mochten. Das Wort von der unantastbaren Würde des Menschen hat meine Mutter geprägt als einfache Frau (sie war später froh, Opelarbeiterin werden zu können).

Sie hätte bei ihren Kindern auch nicht geduldet, dass sie von Menschen, und seien es Feinde, sprechen wie Serhhij Zhadan, der ukrainische Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels von 2022. Von ihm konnte man hören: Die Russen sind „Verbrecher, Tiere, Unrat“.

Zwar können Zhadan und viele Ukrainer sagen: Mit dem Programm des Krieges sind die politischen Anführer der Russen „gekommen, … um unsere Geschichte, unsere Kultur, unsere Bildung zu vernichten“. Sie können das tun, wenn sie auf die Kriegsprogrammatik schauen, und vielleicht meinen auch viele (nicht alle) der russischen Soldaten, dass sie das wirklich wollen.

Serhhij Zhadan dokumentierte sein eigenes Erschrecken über sich und über seine Verwandlung durch den Krieg, heißt es in einem Kommentar. Aber so viel man auch über die den Ukrainern zugefügten Schmerzen im Kontext des brutalen Krieges weiss, und wenn man die ungefilterte Kriegswahrnehmung der Kriegsmitschriften von Zhadan berücksichtigt - alle diese und sonstige Relativierungen eingeschlossen - meine Mutter hätte solche Vokabeln wie die von Zhadan bei ihren Kindern 1950 nicht geduldet. Ich vermute, verantwortlich dafür war das, was mein Onkel Albert später einmal die „Religion seiner Väter“ nannte und gegen mich zu verteidigten suchte. Meine Großmutter hätte das bei meinem Vater und später bei mir gern bewahrt gesehen. Religiös-humane Prägung ist jenseits aller Konfessionalität unverzichtbarer Teil des Gerüsts von positiven religiös-humanen Werten, die heute für Europa wie für die Vereinten Nationen gelten.

Wenn man böse Worte wie die zitierten verwendet, was hält dann einen Menschen noch davon ab, diese Menschen (erst nur) in Gedanken so zu behandeln, wie sie ihre Gegner zu behandeln suchen (vgl. Franz Alt, TAZ v. 25.10.2022, Jens Uthoff Kämpfen für den Frieden TAZ 27. Oktober 2022)

Menschen, die gegen die Regeln des Zusammenlebens verstoßen, auch gegen die in Kriegen geltenden Übereinkünfte, verachtet man. Wenn sie damit verantwortlich sind für verfolgbare Verbrechen, bestraft man sie - wenn möglich. Aber ein Menschenantlitz wie alle anderen können sie nicht verlieren.

Auch der Hass gegen die Niedrigkeit verzerrt die Züge. Diese Zeile stammt von Bert Brecht. Sie steht in dem bei ähnlicher Gelegenheit entstandenen Gedicht „Wir leben in finsteren Zeiten“.

© Dieter Kramer 12.11.2022

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