Skip to content

R.O.M.
Regionalgeschichte des Oberen Mittelrheintals
von Prof. Dr. Dieter Kramer

Landpolitik und Resilienz.

Nachhaltigkeit, Bodennutzung, Gottlieb Koppe, Landwirtschaft, George Thomson5 min read

Als ich mich um 1986 zum ersten Mal mit der Geschichte der Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft beschäftigte, stieß ich auf den Erzabt Cäsarius von Rommerskirchen in der Eifel, der 1222 eine ältere Hofbeschreibung abschließt mit den Worten:
„Wie die Hufner die herrschaftlichen Äcker zur rechten Zeit pflügen, besäen, abernten und die Ernte in die Scheuern bringen… ist so gut wie allgemein bekannt: So haben wir nicht aufgezeichnet, was man wissen kann oder weiß.“(Günther Franz: Quellen zur Geschichte des deutschen Bauernstandes im Mittelalter. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1974).

Gerade das hätte mich damals interessiert, weil ich mich mit den Veränderungen der Bodennutzung beschäftigte.
Mehr konnte ich später erfahren von dem Landwirtschaftsreformer Gottlieb Koppe (1782 – 1863) und seinem Buch „Unterricht im Ackerbau und in der Viehzucht. Anleitung zu vorteilhaftem Betriebe der Landwirtschaft“, 1. Aufl.1818. erschienen bis zur 11. Auflage 1885.
Er informiert detailliert über Betriebswirtschaft und Feldbestellung in größeren Gutswirtschaften vor der Einführung von Kunstdünger.
Man kann über die frühere nachhaltige Landwirtschaft auch mehr erfahren aus „Das neue Buch der Erfindungen, Gewerbe und Industrien. Rundschau auf allen Gebieten der gewerblichen Arbeit. Dritter Band: Die Gewinnung der Rohstoffe aus dem Innern der Erde, von der Erdoberfläche sowie aus dem Wasser. Sechste umgearbeitete und verbesserte Auflage. Leipzig und Berlin 1873“: Dort wird der Übergang zu den noch mit tierischer Zugkraft betriebenen Landwirtschaftsmaschinen erkennbar.
Die kleinbäuerlichen Wirtschaftsformen auf den oft sehr kargen, steinigen Äckern in unserer Gegend prägen die Mittelgebirgslandschaften von Taunus, Westerwald und Eifel mit kleinen Äckern, Obstwiesen, terrassierten Hängen auch außerhalb der Weinberge.
Dies wird von den meisten Büchern dieser Art eher nicht beschrieben. Da denken die Autoren eher wie 1222 der Erzabt: Das weiß man doch!
Aber viele Einzelheiten kennen wir doch nicht. Vor allem aber: Selbst wenn man die Arbeitsabläufe und die Technik kennt, weiß man nichts über die Erfahrungen und Empfindungen der beteiligten Menschen.
Da helfen andere Quellen. Im (ersten) Heimatjahrbuch des Landkreises Rhein-Lahn (Bad Ems) stieß ich auf einen Beitrag zu diesem Thema, der nicht nur die Alltagsarbeiten der Landwirte beschreibt. Er vermittelt auch einen Eindruck davon, wieviel Wissen und Erfahrung damit verbunden sind (Hans-Eberhard Schüchen: Pflügen. In: Rhein-Lahn-Kreis. Heimatjahrbuch 1986. Bad Ems 1985, S. 157-162). Ein Beispiel:
„Bei einem Doppelgespann, z. B. 2 Kühen oder 2 Pferden, mußte ein Tier in der Furche und das andere auf der Furche gehen. Beim Wenden wieder umgekehrt. Das Tier, das vorher auf der Furche ging, mußte diesmal in der Furche gehen. Das war die erste Schwierigkeit beim Lernen der Zugtiere. Bei einem Einspänner, ob Pferd oder Ochse - auch mit Kühen wurde früher noch gepflügt -, ging das Tier grundsätzlich auf der Furche, hierbei mußte der Vorderpflug umgestochen werden.
Das Problem war dann, daß man dieses Tier nur sehr schwierig in einem Doppelgespann verwenden konnte, weil es grundsätzlich nur in oder auf der Furche ging.
… Die Peitsche hatte eine sogenannte ‚Schmuck‘, eine dünne Kordel, welche vorne an dem eigentlichen Peitschenriemen angebunden und mit Knoten versehen war. Dieses knallte erstens wunderbar und zweitens war der Schmiß dann ziemlich schmerzhaft. Wenn abends ausgespannt wurde, ging der Großvater erstmal um die Pferde, um die ‚Schmorren‘ zu zählen. Wehe, es waren einzelne zu sehen, ein fürchterliches Donnerwetter folgte.“ (157)
Und so weiter. Mit einer solchen Schilderung bekommt man einen Eindruck von der Mühe, aber auch der notwendigen Sorgfalt der Arbeit: Nur aus langer, klug verarbeiteter Erfahrung ist sie leistbar.

Das ist „lokales Wissen“, auf das Ethnologen immer achten, und vor dem auch der Althistoriker George Thomson in seinem Buch über den altgriechischen Dramatiker „Aischylos und Athen“ (Berlin 1956) schreibt: „Besondere Erwähnung schulde ich meinen Freunden, den Bauernfischern von Blasket Island in West Kerry, die mir neben vielem anderen, was man aus Büchern nicht hätte schöpfen können, gezeigt haben, wie das Leben in einer vorkapitalistischen Gesellschaft aussieht.“ <auch Vorwort 1970 deutsch> Andere könnten Ähnliches von den Kleinbauern unserer Gegend sagen. Jede/jeder, der einen Kuchen backen will, weiß, dass dazu nicht nur geeignete Zutaten und ein Rezept nötig sind, sondern auch eine Menge Erfahrung.
Wer meint, heute sei das Arbeiten in der Landwirtschaft mit digital gesteuerten Maschinen viel einfacher als damals, der denkt nicht daran, wieviel Erfahrung und Sensibilität auch da gebraucht werden.
Ähnliche praxisbezogene Kreativität und Intelligenz wenden auch Kleingärtner oder Handwerker auf. Die „Alltagstechniken“ der Rentner und Erwerbslosen sind ebenfalls darauf angewiesen.

Sich an die vergangenen und heutigen Leistungen der Menschen in der Region zu erinnern ist nicht nur Nostalgie. Wenn es um die Bodenbearbeitung geht, sind diese Erfahrungen auch für die Zukunft wichtig. Heute ist der Umgang mit dem landwirtschaftlichen Ertragsboden im Wandel. Mir scheint, wir bewegen uns auf eine Phase zu, in der sich Fenster für zukunftsfähige Neuerungen öffnen.

Der aus Österreich stammende österreichische EU-Kommissar Fischler forderte 1996 die Bauern auf, „Landschaft zu produzieren“ und dabei auch ökologische und soziale Aufgaben zu übernehmen. Heute beschweren sich die Bauern über zu geringe Vergütung für ihre Leistungen und zu viel Bürokratie, und sie werden belohnt für die Überschussproduktion von tierischen Nahrungsmitteln, zu deren Produktion Anderswo Urwälder gerodet werden. Mit dem von EU-Mitteln (damit von unseren Steuergeldern) subventionierten Export werden die Märkte in ärmeren Ländern des Südens Ländern ruiniert.

In den 1970er Jahren konnte der Frankfurter Stadtwald seine Position im städtischen Haushalt nur verteidigen durch den Hinweis auf die Wohlfahrtsleistungen des Waldes. Vor allem wurden Luft, Wasser, Erholung genannt. Die sind neben dem wirtschaftlichen Ertrag durch Holzverkauf wichtig, vielleicht sogar noch wichtiger.

Entsprechende Leistungen können nur bewohnte ländliche Regionen erbringen, keine ausgeräumten Agrarsteppen. Sie müssen dies mehr und mehr tun, wenn es um Klimaschutz, Trinkwasserschutz und Artenvielfalt geht (ich habe den Eindruck, dass in diesem Winter sich viel weniger Vögel für die Nussreste in meinen geknackten Walnüssen interessieren, wenn ich sie auf die Veranda lege).

Da die „Wohlfahrtsleistungen“ der Landwirtschaft aber schwer kalkulierbar sind, werden sie in jenen Zuschussverteilungen wenig berücksichtigt, die nur nach dem finanziellen Ertrag, nach den Gewinnen fragen. Um ihn geht es der Landwirtschaftslobby. Man kann aber Subventionsvergabe auch so organisieren, dass Ernteertrag und Landschaftspflegeleistungen so vergeben werden, dass man von dem Ertrag beider eine Familie ernähren kann.

Und wenn man fragt nach „Resilienz“, der Fähigkeit in Krisen zu überleben, dann ist eine Bodenbearbeitung sinnvoll, in der viel für den lokalen und regionalen Verbrauch im Rahmen der „kurzen Wege“ zum Verbraucher, aber auch für die eigene Subsistenz erzeugt wird.

Auch wenn heute kaum noch jemand mit Tieren pflügen oder mit der Sense mähen will, ist die Kenntnis dieser Techniken interessant. Das Dreschen mit Dreschlegel ist mit der Dreschmaschine längst außer Gebrauch gekommen, schildert H. E. Schüchen in dem oben genannten Artikel von 1986 (S. 158) Mit dem Dreschflegel hat um 1947 der Knecht meines Onkels in Zorn die Ähren ausgedroschen, die mein Bruder und ich als Kinder nach der Ernte als Ährenlese aufgelesen haben. Sie sollten nicht einfach zu den anderen in die Dreschmaschine kommen.

Vielleicht kann man heute noch Kleinstmengen von Zuchtgetreide oder anderen Pflanzen so am besten gewinnen. Und wenn man Stroh zum Strohflechten braucht, schickt man das Getreide auch nicht durch die Dreschmaschine.

Alte Techniken bleiben interessant. Und dazu braucht man Informationen über andere Lebenswelten, wie man sie in den Heimatkalendern findet. Genussvoll-romanhaft kann man sich über frühere agrarische Lebenswelten auch informieren in dem Buch von Uta Ruge: Bauern, Land. Die Geschichte meines Dorfes im Weltzusammenhang. München: Antje Kunstmann 2020.

© Dieter Kramer kramer.doerscheid@web.de 27.12.2020

Logo

© 2023 by Regionalgeschichte des Oberen Mittelrheintals.

All rights reserved.