— Loreley, Touristen, Mythenweg, Kreativität — 4 min read
Die Loreley muss es leiden. Von unten sieht sie immer noch aus wie ein wilder Felsen. Oben hat das uralte Plateau seine Unschuld verloren: Zerfurcht von einem neuen Graben, überzogen von einem Spinnennetz neu trassierter Wege, werden jetzt auf den Felsen Felsen geschichtet „Mythen“ installiert.
An den konstruierten vier mythischen Orten im Landschaftspark werden Felsen aus bis zu zwanzig Tonnen schweren Einzelstücken installiert, und zwar „auf Grundlage der Ausstellungsplanung mit den Büros Maier & Holenbeck Architektur /Projekt 2508“. Sie wurden in einem Steinbruch im Bergischen Land ausgesucht, geliefert von der Grauwacke Manufaktur Wegerhoff Lindlar. Dreizehn Felsblöcke sind es, und sie werden zusammengefügt zu einer neuen Felsformation mit bis zu drei Metern Höhe: Fels genügt nicht. Der Loreley-Fels wird durch neue Felsen „verbessert“. Es sind keine gewöhnlichen Felsen, es sind vier „Hörfelsen“. Aus ihnen erklingt in sechs Sprachen je eine Geschichte zum „Mythos“ Loreley.
Kritiker könnten meinen: Man hätte man von vornherein bei dem Wettbewerb auf einheimischem Material beharren sollen, oder ganz anders planen müssen. Jetzt werden auf dem Felsen Loreley Grauwacke-Felsen aus dem Bergischen Land installiert, vielleicht aus dem gleichen Erdzeitalter Devon, aber von einem ganz anderem Ort. Hätte man nicht ehrlicherweise besser gleich auf Beton-Elemente zurückgreifen sollen? Die zerfallen wenigstens in ein paar tausend Jahren.
Fördergelder, die in die Region fließen, sollten dort ausgegeben werden. Das wäre auch bei einem Hotelbau zu überlegen. Über elf Millionen Euro sollen bei dem Schwerpunktprojekt Loreley der BUGA in einen Klimapark mit der Präsentation von Landwirtschaft der Zukunft und Nachhaltigkeit investiert werden. (Mike Weiland, stellvertretender Vorsitzender des BuGa Aufsichtsrates, im Gespräch mit Josef Winkler, dem Landesvorsitzenden von Bündnis90/Die Grünen). (VG 46/21 S. 9)
Da wäre es betriebswirtschaftlich sinnvoll, die Region bei den Aufträgen zu berücksichtigen. Aber die Felsen der Loreley waren wohl nicht gut genug. In dem neu geschaffenen Hohlweg erkennt man zwar die schöne Schichtung der Naturfelsen, aber Hörfelsen konnte man vermutlich daraus nicht machen. Hätte man vielleicht doch sogar auf Felsen aus Indien zurückgreifen sollen und sich eidlich zusichern lassen, dass sie nicht mit Kinderarbeit gewonnen sind, wie die Steine mancher Schottergärten? Damit hätte man sich zur Globalisierung bekennen können (Figuren aus Korea stehen ja auch schon auf dem Plateau), und es sollen ja schließlich (reiche) Besucher aus der ganzen Welt kommen. Das wäre vielleicht trotz des Transportes sogar billiger gekommen.
Mit den sechs Sprachen der „Hörfelsen“ „wurde von Beginn der Planung an der weltweiten Bekanntheit des Sehnsuchtsortes vieler Menschen gedacht.“ (VG 46/21S. 9 – nicht etwa an die Arbeitsmigranten bei uns) Aber noch muss ohnehin mit Marketing vielen Menschen erst klargemacht werden, dass die Loreley ein solche „Sehnsuchtsort“ für sie ist.
Die Felsen sind nicht alles.
Gebaut wird ein Regenrückhaltebecken zum Tal hin, eine „Multifunktionsfläche mit wasserdurchlässiger Oberfläche.“ (8) Am Standort des früheren Loreley-Berghotels entsteht eine „Mythoshalle“. (Infos aus der VG Loreley, 46/21 S. 9)
An zwangloses Kaffeetrinken und Kuchenessen auf der Terrasse und auf Feste im einstigen Hotel erinnere ich mich gern – ich bin gespannt, was zu „erleben“ mich die „Mythoshalle“ zwingen wird.
Was den „Mythos“ anbetrifft: Die Fachleute (Religionswissenschaftler, Ethnologen, Kulturwissenschaftler) sind sich einig, dass „Mythos“ Schöpfungsgeschichte ist, wie die Geschichte von der Erschaffung der Welt in der Bibel. Ziemlich alle Gemeinschaften haben einen solchen Mythos. Bei der Loreley wird eine einzige Figur um 1800 von Clemens von Brentano in einer Dichtung erfunden und dann in der Romantik von vielen anderen aufgegriffen und fortgesponnen (Die Loreley. Ein Fels im Rhein. Ein deutscher Traum. Historisches Museum am Strom; Mittelrhein Museum Koblenz. Mainz: V. v. Zabern 2004)
Vorher gab es nur den Fels im Rhein und sein weitberühmtes Echo. Auch für Goethe und so vielen anderen war die Loreley vor Brentano und Heine und vor dem berühmten Gedicht kein „Sehnsuchtsort“. Nur das Echo wollten sich alle anhören, auch Napoleon. Carl Gustav Carus (1789-1869) reist 1835 auf dem Landweg am Ufer entlang nach St. Goar: „Ein hübsches Echo unterwegs bekommt der Reisende noch beiläufig mit in den Kauf, denn eine gewaltige Felswand des rechten Rheinufers, die Lurley genannt, bricht die Waldhorntöne und den Pulverknall auf das mannigfaltigste zurück, ja dieselben den nahen und fernen Felsufern zusendend, steigert sie den Klang bis zum siebenfachen Widerhall.“ (18) Mehr nicht.
Nun gut, ein Marketing-Konzept braucht ja keine belegbaren Zusammenhänge. Niemand glaubt doch auch, dass ein Dosengetränk wirklich Flügel verleiht.
Für die Statue wird erst ein Wettbewerb ausgeschrieben. Ich erinnere mich, wie umstritten die Figur war, die unten am Ende jenes Dammes sitzt, mit dem der Winterhafen vom Strom getrennt wird: Nie werden alle zufrieden sein, wahrscheinlich nicht einmal die meisten. Vermutlich muss man so autoritativ durch ein Gremium entscheiden lassen, wie bei der Gestaltungplanung.
Ich weiss nicht, warum ich beim Schreiben dieses Textes an den Niederländer Multatuli (1820-1887) denken muss? Er mochte den Rhein sehr. 1860 floh wegen seiner Kritik an der Niederländischen Kolonialpolitik nach Deutschland und lebte in Koblenz, Wiesbaden und Ingelheim. Er spottete über den deutschen „Unfug“, Ruinen zu restaurieren, und verschärft diese Kritik noch durch die Nennung von besonders grotesken Ausnahmen. „Ich erkläre ausdrücklich, daß dieser Ausfall gegen Ruinenverderber absolut nichts zu tun hat mit Lahnstein, das durch einen reichen Engländer ‚auf Spekulation‘ wieder aufgebaut ist, auch nicht mit dem Stolzenfels, dem Schlosse, das der vorige König von Preußen ’restaurieren‘ ließ, auch nicht mit den anderen Schlössern am Rhein entlang, an denen sich königlicher Ungeschmack übte, … nein, ich will keinen beleidigen! Warum auch, wo Auslachen genügt.“ (Multatuli: Millionen-Studien. <übers. v.) Karl Mischke. Halle/Saale o.J.,S. 19, geschrieben 1872 in Wiesbaden)
Aber die Loreley hat Multatuli nie kennengelernt, sie war damals noch nicht in hohenzollern-preußische Identitätspropaganda einbezogen. Deswegen kann er sich auch nicht auf sie beziehen und so ist das Zitat völlig deplaziert – ich kann aber nichts für meine spontanen Gedankenverbindungen.
Der Grüne Landtagsabgeordnete „Josef Winkler zeigte sich von den Planungen bei seinem Besuch und vor allem auch der Qualität der künftigen Hinweistafeln, die beim Besuch erstmals öffentlich präsentiert wurden, beeindruckt.“ (Infos aus der VG Loreley 46/2021 S. 9)
„Über 11 Mio. Euro sollen von der BUGA in einen Klimapark mit der Präsentation von Landwirtschaft der Zukunft und Nachhaltigkeit investiert werden.“ Es soll neben dem „Kultur-und Landschaftspark einen Klimapark im hinteren Plateaubereich“ entstehen (Werden dazu die jetzigen Höfe beseitigt, statt sie gezielt umzubauen? Fragen über Fragen).
Was bedeutet: „Im hinteren Plateaubereich“? Werden Besucher da noch Geduld dafür aufbringen, wenn sie die „Hörfelsen“ und die Mythoshalle hinter sich haben? Fehleinschätzung, könnte man sagen, aber so viele Menschen darf man vielleicht ohnehin nicht an den kleinen Gartenparzellen vorbeischleusen. Etwas einen „hinterer Bereich“ zu nennen bedeutet schon gleich Abwertung. Das darf man nicht tun, auch nicht in den Vorüberlegungen! Die BUGA soll ihre Verpflichtungen als UNESCO-Welterbe wirklich ernst nehmen und dafür sorgen, dass in dem Welterbe-Tal erkennbar wird, dass eine nachhaltige Zukunft möglich ist. Dazu braucht man etwas ganz anderes: Ausgedehnte Musterhöfe mit verschiedenen Formen zeitgemäßer ökologischer Landwirtschaft, ferner Waldwirtschaft mit Waldplanzungen, die im Klimawandel bestehen können, und das alles zum entspannten und anregungsreichen Besichtigen. Und vielleicht noch manches mehr.
© Dieter Kramer kramer.doerscheid@web.de 02.12.2021