— Iwan Frolow, Wadim Sagladin, KSZE, NATO-Osterweiterung, internationale Raumstation — 3 min read
Pacta sunt servanda. Verträge müssen eingehalten werden, lautet seit der Antike ein Grundsatz. Erst wenn man sich mehr Vorteile von der Aufkündigung eines Vertrages verspricht als von seiner Einhaltung, wächst die Versuchung, ihn zu brechen.
Zeitweise gab es Chancen für Gemeinsamkeiten von Ost und West angesichts globaler Verantwortung. Das sollte man nicht vergessen. Bei den Impulsen zur Diskussion globaler Probleme trafen sich Ost und West zur gleichen Zeit (der Osten sogar etwas früher und prägnanter). Beispielhaft geschah dies 1972beim IG-Metall Kongreß „Aufgabe Zukunft Qualität des Lebens“ (Beiträge zur vierten internationalen Arbeitstagung der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland 11. bis 14. April 1972 in Oberhausen). Referenten aus Ost und West sprachen über Qualität des Lebens; Bildung, Umwelt und Qualitatives Wachstum.
Viel diskutieert wurde später auch das, was die sowjetischen Forscher Wadim Sagladin und Iwan Frolow über „Globale Probleme der Gegenwart“ schrieben (deutsch Berlin: Dietz 1982).
Denkmöglich waren in den Ost-West-Beziehungen Positionen, wie sie 1987 im gemeinsamen Papier von SED und SPD formuliert wurden. Es geht ähnlich vor wie die mühsamen Formelkompromisse, mit denen Offenbarungsreligionen (z. B. die verschiedenen evangelisch-christlichen Gruppierungen) voneinander sich abgrenzen und dennoch gemeinsam auftreten können. (Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit. Vorwärts Nr. 35 v. 29. August 1987, S. 31-34; vgl. Der Fischer Weltalmanach Chronik Deutschland 1949-2009 S. 305/306) Vor dem Hintergrund gemeinsamer Überlebensinteressen (bezogen auf Frieden, Biosphäre, Überwindung des Hungers), heißt es in dem Papier, wollen unterschiedliche Systeme „lernen, miteinander zu leben und gut miteinander auszukommen“ (I.3). Sie entwickeln dazu eine „Kultur des politischen Streits und des Dialogs“ trotz formulierter fundamental divergierender Positionen. Voraussetzung und Ansätze für diese „Kultur des politischen Streits“ ist, dass beide ihre wechselseitige Existenz „ohne zeitliche Begrenzung“ akzeptieren. (IV.1) „Beide Gesellschaftssysteme müssen einander Entwicklungsfähigkeit und Reformfähigkeit zugestehen“. (V.1) Zwar ist „Einmischung in die inneren Angelegenheiten“ nicht zugelassen, aber „Kritik, auch in scharfer Form“ gilt nicht als Einmischung (V.5). Hier sind Formen eines „produktiven Dialogs“ formuliert, bei dem keiner der Partner zu Beginn schon ein festes Bild hat von dem, was am Ende herauskommen wird. Sie signalisieren auch eine mögliche Form des Umganges prinzipiell gleichberechtigter Kulturen und Völker, die ihre wechselseitige Souveränität anerkennen statt unter dem Etikett der Modernisierung zu missionieren.
Diskussionen zwischen West und Ost auf anderen Ebenen waren gleichfalls geprägt von diesem Gefühl der gemeinsamen Verantwortung für die Lebenswelt des Planeten. Und die internationale Raumstation zirkuliert als Produkt dieser Zeit immer noch um die Erde – im Mai 2022 wurde wieder einmal ein Teil der amerikanischen, russischen und deutschen Besatzung ausgetauscht. Gas aus Russland wird immer noch geliefert. Damals waren ziemlich alle damit einverstanden, weil man sich auch mit Russland in einer gemeinsamen globalen Verantwortung verbunden sah und auf „Wandel durch Annäherung“ setzte.
Angesichts globaler Probleme, wie sie seit den 1970er Jahren in Ost wie West erkannt und diskutiert wurden, musste nach der KSZE (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) und der Bildung der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) 1990 die Auflösung des Warschauer Paktes und die Neugliederung der Staaten der UdSSR (Union der sozialistischen Sowjetrepubliken) als Chance empfunden werden. Weshalb dann trotz der Bedenken vieler wichtiger Politiker auch des Westens (Kissinger und anderer) die Konkurrenz der Großmächte sich durchsetzen konnte durch eine rasche (überstürzte, konnte man sagen) Eingliederung der osteuropäischen und baltischen Staaten in die EU und die NATO, muss die Geschichtsforschung klären.
Jedenfalls konnte sie von vielen empfunden werden als Versuch der Einkreisung Russlands, wie sie schon in der Kriegszielpolitik des Alldeutschen Verbandes im Zweiten Weltkrieg vorgeschlagen wurde.
Oberflächlich sieht es so aus, als habe Putin in der Zwischenzeit einige Bücher gelesen, die ihn auf andere Gedanken gebracht haben. Es mag vielleicht auch sein, dass er angesichts der raschen NATO-Osterweiterung das Gefühl hatte, der damals von Russland eingeschlagene Weg bringe nichts.
Bei seiner Rede im Deutschen Bundestag erhielt er damals stehenden Applaus. Konnte man nicht Weichen stellen und Wege einschlagen, die man nicht s einfach verlassen kann?
Die internationale Raumstation zirkuliert ja seitdem auch immer noch um die Erde.
Später erst machte Putin sich vertraut mit ganz anderen Theorien zur Rolle Russlands und entwickelte ein neues Großmachtprogramm. Egal wie und warum das sich so entwickelt hat - heute müssen wir damit zurechtkommen.
Man kann jetzt sagen: „Putins Eroberungskrieg hat speziell Deutschland seiner Friedensillusionen beraubt. … Nötig sei die Selbstbehauptung der EU gegen den neuen Ostblock, Russland und China.“ (Albrecht von Lucke Blätter für deutsche und internationale Politik4/22, 45) „Wo Dialog scheitert, hilft nur Abschreckung.“ (Zellner, dto. Blätter 4/22, 45)
© Dieter Kramer Dienstag, 11. Mai 2022