— Bacharach, Sickingenhaus, Franz von Sickingen, Ulrich von Hutten, Säkularisation, Hohenzollern, Kurfürst Ludwig der Friedfertige, Ritterkrieg, Worms, Martin Luther, Ebernburg, Sickingendebatte, Sauertal, Kaiser Maximilian, Burg Nanstein — 3 min read
Bekannte aus der Volkskunde werden aufmerksam, wenn ich ihnen von Bacharach erzähle – nicht wegen der Wernerkapelle,
sondern wegen des Sickingenhauses.
Es ist ein architekturgeschichtliches, architektonisches Juwel, um das zu sehen manche extra nach Bacharach kommen.
Ältere Reiseführer, auch ältere Ausgaben von Baedeker erwähnen es nicht, aber seit man den Bauern- und Fachwerkhäusern
größere Aufmerksamkeit schenkt, wird es überall genannt.
„Spätgotische Fachwerkkonstruktion (Ständerbau) über Bruchsteinsockel, das Portal dat. 1470, die Giebelspitze abgewalmt.“
Das steht bei Bacharach zu den Wohnhaus Nr. 5, im Dehio, Rheinland-Pfalz Saarland1984 (das ist das allen Kunst-und Architekturinteressierten vertraute Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler).
Es ist eines der wenigen in Deutschland erhaltenen städtischen Fachwerkhäuser in Ständerbauweise.
Diese entwickelte sich im 13. Jahrhundert aus der Pfostenbauweise. Die Ständerbauweise ermöglicht
die Errichtung mehrerer Stockwerke bzw. Geschosse. Der von der Schwelle bis zum Dachgebälk durchlaufende
hölzerne Ständer (sehr gut erkennbar am Sickingenhaus) trägt die gesamten Lasten über mehrere Stockwerke.
Die auf einem gemauerten Sockel errichteten Ständer sind auch im Inneren durch waagrechte Balken,
die so genannten Ankerbalken, miteinander verbunden. Die Ankerbalken dienen gleichzeitig als Auflage für die Deckenkonstruktion der einzelnen Geschosse.
Die Ständerbauweise war die ursprüngliche, im Mittelalter gebräuchliche Fachwerkbauweise. Sie wurde Ende des Mittelalters (ab dem 16. Jahrhundert) abgelöst durch die Rähmbauweise (Stockwerksbauweise), lesen wir in Wikipedia. Bei ihr werden Ständer verwendet, die nur die Höhe eines Stockwerkes besitzen und oben mit einem Balken, der (dem) Rähm abgeschlossen werden. Die Balken für diese Stockwerke werden von den Bauleuten auf dem Zimmerplatz vorgefertigt, mit römischen Ziffern bezeichnet (man kann sie oft noch erkennen) und dann erst auf dem Gebäude wieder zusammengesetzt. Man sieht in Bacharach in der gleichen Straße mehrere Häuser dieser Art.
Städtische Ständerbauten gibt es kaum noch, weil sie durch Brand und Krieg vernichtet
wurden.
Deswegen ist das Sickingenhaus in Bacharach so berühmt.
Ländliche Ständerbauten sind häufiger erhalten, so etwa in einer
Fachwerk-Dorfkirche in Kernbach/Hessen von 1687. Dorfkirchen dieser Art wurden von den dörflichen Zimmerleuten
im Auftrag der Gemeinde selbst errichtet.
Und dann erinnert dieses Bacharacher Haus auch noch an den Reichsritter Franz von Sickingen (1481-1523), den Anführer der rheinischen und schwäbischen Ritterschaft. 1519 lernte Sickingen den Humanisten Ulrich von Hutten kennen. Dieser begeisterte ihn für die Idee einer Reformation der Kirche „an Haupt und Gliedern“, verbunden mit einer radikalen Beschneidung der weltlichen Rolle der Kirche und ihrer Konzentration auf die Predigt des Evangeliums. Als Anhänger der Reformation stritt Sickingen für die Säkularisation der kirchlichen Güter (ihre Übertragung in weltlichen Besitz). Das im Reich dominierende Römische Recht (weitgehend auch das Recht der heutigen bürgerlichen Markt-Gesellschaft) lehnte er ab, weil es nach seiner Meinung die Bauern und den niederen Adel, zu dem auch die Ritter zählten, benachteiligte. Er führte seine Standesgenossen im „Ritterkrieg“ gegen die Städte an, meist mit Duldung des Pfalzgrafen bei Rhein, des pfälzischen Kurfürsten Ludwigs des Friedfertigen. 1521 war der erfolgreiche Heerführer Sickingen zum Idol des niederen Adels geworden, der sich in Bedrängnis zwischen der Geldwirtschaft der aufblühenden Städte und den Machtinteressen der Territorialherren befand. Als Sickingen aber mit der Reichsstadt Worms in einen Streit geriet, bei dem ihn Götz von Berlichingen unterstützte, wurde er 1515 von Kaiser Maximilian I. geächtet. In seiner Burg Nanstein musste Sickingen nach einer für die damalige Zeit unerhörten Zahl von 600 Kanonenkugeln an einem einzigen Tag. nach zwei Tagen kapitulieren. Er starb an einer schweren Verwundung, die er dabei erlitten hatte.
Sickingen hatte sich schon früh für die Sache Martin Luthers eingesetzt und diesem auch Asyl angeboten. Während Luther davon keinen Gebrauch machte, sammelten sich Anfang der 1520er Jahre auf Sickingens Ebernburg bei Bad Kreuznach an der Nahe eine ganze Reihe anderer bedeutender Repräsentanten der Reformation, die wegen ihrer lutherischen Gesinnung meist ihre Anstellung verloren hatten oder sogar hatten fliehen müssen. Die Ebernburg erhielt deswegen durch Hutten in einer Streitschrift den Beinamen „Herberge der Gerechtigkeit“.
Den Literaturinteressierten ist Sickingen deswegen vertraut, weil mit dem Drama Franz von Sickingen: eine historische Tragödie von Ferdinand Lassalle 1859 die „Sickingen-Debatte“ über ästhetische Theorie und Praxis zwischen Lassalle einerseits und Marx sowie Engels andererseits verbunden ist.
Und in unserer engeren Region ist der Name Sickingen verbunden mit einer der interessantesten Burgen, die nicht am Rhein stehen, der rechtsrheinischen Sauerburg bei Sauerthal: 1682 erhält ein Franz von Sickingen für sich, seine Frau, deren Vettern und Basen den Lehensbrief über das Lehen Sauerburg. 1748 bekommt Sauerthal mit Hilfe des Grafen Carl Anton von Sickingen eine neue Kirche. Er läßt den Sauerbrunnen säubern und mit Quadersteinen neu einfassen. 1821 schenkt ein anderer Franz von Sickingen der Kirche in Sauerthal das Pfarrhaus und weitere Grundstücke. 1824 verzichtet er auf sein Patronatsrecht (unter anderem das Recht, die Pfarrer zu bestimmen) und schließt einen Vertrag zur Vereinigung der Kirche von Ransel mit der Pfarrei Ransel (die Familie war zum Katholizismus übergetreten).
1834 stirbt dieser Franz von Sickingen, der letzte der Linie Sickingen zu Sickingen, auf dem Hof Sauerberg bei Sauerthal und wird auf dem Dorffriedhof von Sauerthal beerdigt. Dort wird später eine neugotische Grabstele von seinen Freunden zu seiner und der Familie Sickingen Erinnerung aufgestellt.
So ist das Sickingen-Haus in Bacharach eine Besonderheit, die zu schützen und Instand zu halten lohnenswert ist. Schade, dass verständnislose Zeitgenossen wiederholt eines der mühsam restaurierten Glasfenster eingeworfen haben.
© Dieter Kramer kramer.doerscheid@web.de 24.08.2021