— Trockenmauern, Nachbarschaftshilfe, Weinberge, Erfahrung, Bautechnik, Regenwasser, Schiefer, Gemeinwohl — 3 min read
Individuelle Kreativität ist die am gleichmäßigsten über die ganze Welt verbreitete Ressource, heißt es im Weltkulturbericht der UNESCO von 1998.
Es gibt sie also auch bei uns. Man braucht gar nicht lange zu suchen.
Alle in der Region kennen die Trockensteinmauern in den Weinbergen und an anderen Orten, wo sie angelegt wurden für die Holzabfuhr oder für den Transport des Dachschiefers, des Reichtums der Region.
Bei uns sieht man häufig auch noch die „gekofferten“ oder „gestickten“ Wege oder Hofeinfahrten:
Schiefrige Steine werden möglichst gleichmäßig senkrecht in die Erde getrieben und dann festgehämmert.
Es bildet sich eine zunächst unregelmäßige, aber mit der Benutzung durch darüber gehende Menschen,
Tiere und Fahrzeuge fester werdende wasserdurchlässige und dadurch frostsichere, zudem auch bei Glatteis
rutschfeste Oberfläche.
Keiner weiss, wer sie erfunden hat, aber seit Menschen Behausungen bauen, Felder anlegen und Wege befestigen,
existieren die Techniken der Trockensteinmauern.
Im Prinzip können eigentlich alle so etwas
(welcher Junge wollte nicht Maurer werden, nachdem er mit Lego oder anderen Materialien gespielt hat?).
Aber manche können es besser, und in der Nachbarschaftshilfe tauscht man ihre Arbeit gegen andere.
Trockensteinmauern werden überall dort angelegt, wo es Steillagen für Weinbau oder Ackerbau gibt,
so auch in der Österreichischen Wachau (einer geschützten Welterbelandschaft wie das Mittelrheintal).
Hier eine genaue Beschreibung:
„Bei reinen Trockensteinmauern wird kein Verbindungsmaterial eingesetzt.
Sie bestehen aus Steinen, die direkt aufeinandergesetzt werden. … Kleinere Steine füllen die Lücken
zwischen größeren aus, stabilisieren das Ganze.
Auf die richtige Mischung kommt es an. Erfahrene Maurer wissen, welcher Stein sich wo eignet und
welcher ein ‚G’sicht’ hat. Das sind besonders schöne Steine für die vordere Reihe.“
(Schmatz, Pamela: Das Fundament, auf dem die Wachau (an-)baut. In: Denkmalpflege in Niederösterreich Bd. 62/2020 S. 41- 43, S. 41)
Die Mauer „muss Wasser durchlassen. Die Wasserdurchlässigkeit ist ein Hauptgrund,
warum Mauern eine so lange Lebensdauer aufweisen können. Korrekt gebaute Mauern halten
ein Gelände besser als Betonmauern und können Jahrzehnte alt werden – in vielen Fällen sogar Jahrhunderte.“ (42)
„Die Terrassen sind die einzige Möglichkeit, wertvolle Anbaufläche zu gewinnen und die Steillagen mit bis zu 60 Prozent Gefälle nutzbar zu machen.“ Sie speichern zudem Wasser und Wärme. „Bei einer drei Meter hohen Trockensteinmauer gilt: Das Fundament muss rund 75 Zentimeter Tiefe haben.“ (42) Die „Herstellung von Trockensteinmauern braucht nur etwa ein Zehntel der Energie der Herstellung von Stahlbeton.“ (43)
Immer wird bei Trockensteinmauern das lokal verfügbare Baumaterial verwendet, deshalb sehen die Mauern je
nach Landschaft ganz anders aus.
Über ein schönes aktuelles Beispiel aus dem Nationalpark Cinque Terre in Ligurien/Norditalien berichtet Susanne Elsen
von der Freien Universität Bozen/Südtirol.
Nach schweren Schäden bei einem Unwetter 2011, bei dem die jahrhundertealte Terrassenlandschaft
stark beschädigt wurde, gründeten 2013 Dorfbewohnerinnen und Bewohner eine Stiftung mit dem Ziel,
„die hydrogeologischen Funktionen des Bodens zu unterstützen und die landwirtschaftlichen
und strukturellen Traditionen zu schützen.“
Weil lokale Arbeitskräfte fehlten, wurden mit Hilfe der Caritas und der Diözese für 10-15 „Menschen in schwierigen Lebenslagen“,
Migranten eingeschlossen, Ausbildungsstellen geschaffen.
Sie arbeiten „aktiv an der Renovierung der Trockensteinmauern,
des Regenwasserableitungssystems und an der Abholzung der invasiven Spontanvegetation“ auf den Terrassen.
„Dabei werden die Auszubildenden von vier Dorfbewohnern im Alter zwischen 65 und 75 Jahren mit langer Erfahrung
in der antiken Bautechnik der Trockensteinmauern und acht weiteren Helfer*innen begleitet.“
Aus dem Welterbe Mittelrheintal wird berichtet: Vor einigen Jahren musste eine Trockensteinmauer repariert werden. Dazu wurden kenntnisreiche Bauarbeiter aus Osteuropa beschäftigt. Sie erneuerten die Mauern stellenweise mit leichter handhabbaren Bruchsteinen von der anderen Rheinseite, die mühsam auf den schwer zugänglichen Weg herbeigeschafft werden mussten. Damit wurden die wichtigsten Vorteile der Trockensteinmauern – lokales Material und lokale Kenntnisse – verspielt. Immerhin: Von der Verwendung von Eisenbeton hat man abgesehen (denn wenn die Moniereisen rosten, geht die Mauer kaputt – das beobachtet man immer wieder, auch an Brücken) Inzwischen gibt es auch in der Region Informationsbesichtigungen und Lehrgänge zu dieser Technik.
Der Tischler Dietmar Brodt aus Bornich berichtet von seinem Vater:
Früher, wenn der in den Weinberg ging, hatte er ein Hämmerchen mit einem leicht elastischen Stiel am Gürtel dabei.
Immer, wenn er sah, dass an einer Trockensteinmauer ein Stein sich vorgeschoben hatte, klopfte er ihn mit dem Hämmerchen wieder zurück und schützte so die Mauer.
Es war egal, um wessen Grundstück es sich dabei handelte, denn alle hingen von der Stabilität des ganzen Hanges ab.
Das ist ein Beispiel dafür, wie auf einem Gebiet zusammenlebende Menschen sich dem „Gemeinwohl“ verpflichtet fühlen, wie der Freiherr vom Stein es bei seinen Reformen erhofft hatte.
Wenn alles Handeln nur dem eigenen ökonomische Nutzen folgt, geht das verloren. Zukunft aber ist auf Dauern auch bei uns nur zu gewinnen, wenn möglichst viele in Verantwortung für eine gemeinsame Zukunft handeln.
© Dieter Kramer kramer.doerscheid@web.de 22.11.2020