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R.O.M.
Regionalgeschichte des Oberen Mittelrheintals
von Prof. Dr. Dieter Kramer

Tourismus, Bundesgartenschau 2029 und Welterbe

Loreley, Tourismus, Bundesgartenschau, Buga, Michael Petzet, Nachhaltigkeit, Unesco Welterbe6 min read

Die Bundesgartenschau 2029 im UNESCO-Welterbe Oberes Mittelrheintal wird angesichts der Klimakrise und der Appelle der Klimakonferenz von Glasgow 2021 zu einem Teil der Suche nach zukunftsfähigen nachhaltigen Lebensweisen. Beide, BUGA und Welterbe, werden in der Region als Chance für Tourismuswachstum angesehen. Da kann es Probleme geben.

Michael Petzet, Präsident von ICOMOS, der für die Welterbe-Stätten zuständigen UNESCO-Kommission International Council on Monuments and Sites, verweist schon 2003 „mit Nachdruck auch auf die verheerenden Folgen des Massentourismus, der vielerorts die Kulturdenkmäler ausbeutet, ohne einen ernsthaften Beitrag zum Schutz und zur Erhaltung des Kulturerbes zu leisten.“ (Unser Weltkulturerbe. Köln: DuMont 2003, Vorwort S. 6) Das gilt auch für das Naturerbe. Und immer neu muss vermittelt werden zwischen museal bewahrender „Käseglocke“ und einem „living social place“, einem lebendigen Ort mit Menschen, die sich der Bedeutung des Ortes bewusst sind und in ihm leben wollen.

Auf die Dosis kommt es an, hat Paracelsus bezogen auf Heilmittel gesagt. Ähnlich ist es auch mit dem Tourismus. Er ist eine wunderbare Erlebnis-, Erwerbs- und Einnahmequelle, ja, entsprechend gestaltet kann er sogar ein Instrument zur Umverteilung von Reichtum aus wohlhabenden in weniger reiche Zonen werden. Aber man muss entscheiden, was man will. Ein solide organsierter sozial- und umweltverträglicher Tourismus kann im Welterbe-Tal und bei der BUGA Lebenserwerbsmöglichkeiten und Lebensqualität erzeugen ohne es zu gefährden, nebenbei auch Impulse für Nachhaltigkeit und Klimaschutz geben. Aber das geschieht nicht automatisch.

Menschen streben nach Lebensqualität heute und in Zukunft. Dazu gehört eine gesunde natürliche Umwelt, eine ausreichend entwickelte Infrastruktur für Verkehr, Konsum, Verwaltung und Gesundheit, ferner öffentliche Sicherheit, Nachbarschaften und Freundschaften. Die Menschen wollen materielle und soziale Sicherheit heute und morgen, bezogen auf auskömmliches finanzielles Einkommen oder vergleichbare Ressourcen zum Leben, Bestandteile von Eigenversorgung eingeschlossen.

Tourismus und Reisen sind in diese Ziele eingeschlossen. Tourismus ist nicht Flucht vor dem Alltag, wie Hans Magnus Enzensberger einmal gemeint hat. Er ist möglich, weil nicht mehr alle Zeit und Kraft für die Fristung des Lebens nötig ist, und er ist eine Form des Genusses von erarbeitetem Reichtum und verfügbarer freier Zeit.

In der aktuellen Marktwirtschaft ist im Tourismus Lebensgenuss ohne Rückgriff auf irgendwelche käuflichen „Produkte“ nicht vorgesehen. Wenn Du nur entspannen, lesen, zeichnen, spazieren gehen, mit anderen reden oder Sport treiben willst, bist Du für Tourismus-Marketing nicht interessant. Da muss erst ein neues „Start up“ entwickelt werden, das dir z.B. „Waldbaden“ als käufliche Dienstleistung anbietet (und damit diejenigen vertreibt, die einfach nur die Ruhe des Waldes genießen wollen).

Die Kritiker sagen: Der Tourismus ist einbezogen in die Marktwirtschaft, die auf ständiges Wachstum zielt, und von der die Konsumenten dazu angehalten werden, mühsam immer mehr Geld zu verdienen, um sich all das leisten zu können, was die bedürfnisweckende Werbung anbietet, eingeschlossen die Tourismuswerbung. Damit werden die Bedürfnisse gezielt ausgerichtet auf entsprechend entwickelte Programme. Glück ist käuflich, ist das (leichtfertige) Versprechen der Tourismusindustrie. Sie bietet gegen Geld (Kaufkraft) konfektionierte Erlebnisse, gefahrlose Abenteuer und beschwerdefreie Genüsse.

Der Tourist soll in der Marktgesellschaft wie eine Flipperkugel wirken: Beim Durchlaufen seiner Bahn, seines Aufenthaltes soll er bei jedem Schritt irgendwo anstoßen und konsumieren (zahlen). So wird Tourismus einbezogen in eine Marktwirtschaft, die wenig oder gar keiner Rücksicht auf die Folgen immer nur wachsen will. Die Konsumenten werden dazu angehalten, mühsam immer mehr Geld zu verdienen, denn nur so können sie sich all das leisten, was die bedürfnisweckende Werbung anbietet. Und man lässt sich darauf ein, um in der Konkurrenz mit den Nachbarn und Arbeitskolleginnen und Kollegen mithalten zu können.

Entwickelt wird für eine gelenkte Tourismuspolitik und Kulturpolitik neoliberale dirigistische Kommodifizierung: Im „Geschäftsfeld Kultur“ werden baukastenartig Angebote entwickelt und zum Verkauf gestellt (Geschichten für die Zukunft. Kulturregionen in Rheinland-Pfalz. Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz. Mainz 2021 (ZIRP), 90f.)

Ich zitiere aus der ZIRP-Broschüre: „Kulturelle Marktplätze sind v.a. über Multiplikatoren zu bespielen. Künftig sind vertriebsbasierte Alleingänge der unterschiedlichen Kulturinstitutionen in Rheinland-Pfalz durch gelebte Partizipation nach Möglichkeit zu vermeiden. Auf diesem Marktplatz geht es darum, zuerst das vielfältige kulturelle Angebot in Rheinland-Pfalz zu strukturieren und anschließend dieses über neue, digitale und analoge Vertriebskanäle einer sehr wertschöpfungsintensiven Zielgruppe zugänglich zu machen.“ (Jasmin Koch, Projektmanagerin Geschäftsfeld Kultur bei der Rheinland-Pfalz Tourismus GmbH.: Sag´s Deinen Freunden: Touristische Geschäftsfelder für Rheinland- Pfalz. Geschichten für die Zukunft. Kulturregionen in Rheinland-Pfalz. Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz. Mainz 2021, ZIRP 90-92, 91)

Wer sich nicht daran hält, kriegt vermutlich keinen Zuschuss. Es wird aus der Vielfalt des Bestehenden ein „Produkt“ als Erlebnisangebot entwickelt, das dann an eine „sehr wertschöpfungsintensive Zielgruppe“ vermittelt wird: So werden die Zielgebiete in warenförmige käufliche Angebote vor allem für reiche Leute verwandelt. Das ist die sprichwörtliche Brille mit dem Dollar- oder Euro-Symbol vor Augen, mit der man auf alles blickt.

In einer Zeit, in der die soziale Kluft in Deutschland und in der Welt immer größer wird, ist die Konzentration auf die „sehr wertschöpfungsintensive Zielgruppe“ demokratiefeindlicher Zynismus.

So muss Tourismus nicht sein. Man darf ihn nicht nur aus betriebswirtschaftlicher Perspektive betrachten, sondern muss auch kulturpolitische, ökologische und demokratiepolitische Dimensionen einbeziehen. Erst Recht in einer Welt-Erbe-Region wie dem Oberen Mittelrheintal darf man ihn nicht so verstehen, denn da gibt es Verpflichtungen zum Schutz dieses Welterbes.

Tourismus ist, sagt man seit langem, ist im Zusammenhang mit Umwelt und Lebensqualität Täter, Opfer und Hoffnungsträger gleichzeitig.

Täter ist er, weil Landschaft „verbraucht“, den Bedürfnissen der Tourismus-Industrie unterworfen wird. Entwickelt werden attraktive „Produkte“, sie werden beworben und für sie werden entsprechende Bedürfnisse geweckt. Und dann legitimiert die Tourismus-Industrie ihr Vorgehen damit, dass sie sagt: Die Menschen wollen es so – weil sie das nachfragen, was ihnen vorher aufgeschwatzt wurde und weil sie gar keine Chance mehr haben, andere Bedürfnisse zu entwickeln.

Ressourcen aller Art werden ebenfalls verbraucht – für Transport, Beherbergung, Wege, Parkplätze usf. So wird der Tourismus zum Täter.

Schon da kann man überprüfen, wo man Umweltverbrauch vermindern kann: Parkplätze nur mit Bäumen und möglichst ohne Versiegelung der Fläche, als (familienfreundliche) Wege nur Wirtschaftswege und Forststraßen, versicherungsrechtlich abgesichert durch ausgehandelte Spezialtarife der Gemeinden oder der Anbieter. Wanderwege werden in den Alpen nur unter Benutzung alter Hirtenwege neu konzipiert. Mehr Ideen lasen sich entwickeln.

Opfer ist der Tourismus, weil mit der von ihm erzeugten Dynamik das gefährdet wird, worauf er angewiesen ist: Zu viele Touristen gefährden die Akzeptanz des Tourismus bei den Bereisten, sie gefährden deren Lebensqualität. Zu viele Touristen werden schließlich auch von den Touristen selbst als störend empfunden: Touristen sind immer die anderen, meinen dann jene Touristen, die sich von den anderen genervt fühlen.

Aber Hoffnungsträger ist der Tourismus ebenfalls. Früher hoffte man, den Touristen Sensibilität für fremde Länder, Vielfalt, Toleranz und für Umweltprobleme vermitteln zu können. Gelegentlich gelang das auch. Ziel heute bei uns für die BUGA muss es sein: Während des erholsamen und anregenden Aufenthaltes Interesse am Prozess der Sicherung und Ausgestaltung des Welterbes „Oberes Mittelrheintal“ zu wecken. Die UNESCO beschäftigt sich immer wieder damit, wie man Welterbestätten als „Living Sozial Space“ entwickeln kann, um sie nicht zu toten Ruinenstätten verkommen zu lassen – eine Konferenz (oder eine Reihe von attraktiven Veranstaltungen) in Zusammenarbeit mit der Deutschen UNESCO-Kommission) kann zeigen, wie das verwirklicht wird in exotischen Zielen, die auch bei deutschen Touristen beliebt sind.

Welchen Tourismus wollen wir hier in Zukunft? Gelegentlich wird von „sanftem“, sozial- und umweltverträglichem Tourismus gesprochen. Aber wie soll der im Welterbe-Tal aussehen? Daran muss gemeinsam gearbeitet werden – in Workshops, Zukunftswerkstätten und so weiter, nicht im stillen Kämmerlein.

Spezialangebote für „vulnerable“ und benachteiligte Zielgruppen, von sozialen Projekten finanziert, können entwickelt werden. Die Corona-Krise hat darauf aufmerksam gemacht, dass (fremdfinanzierte, gesponsorte) touristische Aufenthalte für in der Krise besonders belastete Personengruppen wie Klinikpersonal oder Supermarktpersonal werbewirksam sind.

Kein Tourist soll die Region verlassen, ohne nicht Produkte der lokalen Agrar- oder Handwerksbetriebe erworben zu haben. Sie müssen überall angeboten werden - in Hofläden und Ablegern von ihnen, in Genossenschaftsläden, Handwerkerläden, Dorfläden. Sie müssen produziert und in der Fläche verfügbar sein. Bis 2029 ist noch Zeit.

Partnerschaften zwischen Interessen- und Berufsgruppen in der Region und Touristen können entwickelt werden, ebenso Spezialangebote für Informations- und Konferenztourismus, bezogen auf die Besonderheiten der UNESCO Welt-Erbe Region.

Auch die nur Gaudi und Entspannung suchenden Besucher sollten auf dem Rummelplatz „Loreley-Plateau“ etwas darüber erfahren, wie das Mittelrheintal und die Rheinschiene ein Beispiel dafür sind, wie eine anregende Vielfalt des Miteinander von Zuwanderern und Einheimischen entsteht, und niemand kann dabei an Homogenität oder Reinheit einer Bevölkerung denken.

Die BUGA 29 darf kein Strohfeuer bleiben. Gäste, die wiederkommen, „Wiederholungstäter“, sind besonders interessant. Einen neuen Gast zu gewinnen ist viel teurer als einen Gast, der schon einmal da war, zum Wiederkommen zu veranlassen (vorausgesetzt er war zufrieden).

Und wenn es keine Touristen gibt? „Vermeiden Sie Deutschland“ heißt es Ende November 2021 in manchen Ländern, weil die hinhaltende Politik in Deutschland es nicht fertig gebracht hat, wie im gleichen Jahr in Brasilien (TAZ 29.11.2021) mit Impfen die Corona-Epidemie unter Kontrolle zu halten. Tourismus bleibt krisenanfällig, nicht nur in Epidemien, sondern auch in ökonomischen, politischen und ökologischen Krisen.

Aber die in und mit dem Tourismus entwickelten Fähigkeiten wie Gastfreundschaft, Offenheit, vorurteilsfreies Aufeinanderzugehen (für die Privatzimmervermietung selbstverständlich) und Toleranz sind auch wichtig für Lebensqualität und für die Pflege des gefährdeten demokratischen Lebens in der eigenen Region. Kreativität, Erfahrungen im Miteinander, Geschicklichkeit, wie sie erworben wird im alltäglichen Umgang mit natürlichen Ressourcen und mit Gästen, Vernetzung mit anderen gehören dazu. Wenn eine Region für die Touristen anregend und erholsam sein soll, muss sie auch für die in ihr lebenden attraktiv werden. Auch daran kann man arbeiten.

Wir haben das Glück, in einer Welterbe-Region zu leben. Mit der Anerkennung als UNESCO-Kulturlandschaft haben die Gemeinden die Rheintal-Charte beschlossen. Sie wollen die vorhandene Lebensqualität wahren und fördern und für eine nachhaltige Entwicklung eintreten und den Bürgern und Gästen des UNESCO-Welterbes eine zukunftsfähige und gepflegte natürliche und soziale Umwelt präsentieren.

© Dieter Kramer kramer.doerscheid@web.de Nikolaus-Tag 2021

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